„There ist no plan“ zur Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen. Kein Plan und auch von vielen Seiten schlicht kein Interesse. Das berichtet Madeleine Rees, Generalsekretärin der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“, aus ihrer Erfahrung von verschiedenen Verhandlungsprozessen. Dieser Ausschluss von Frauen – trotz ihrer Beteiligung als wichtige Akteurinnen in Kriegen und Konflikten – hat historisch gesehen Struktur.
Im diesjährigen Fachgespräch des Gunda-Werner-Instituts am 27. November 2014 in Berlin suchen Expertinnen aus den aktuellen Konfliktregionen Syrien und Irak nach Lösungen: Wie können Frauen an Friedensprozessen beteiligt werden? Um ein Leben danach auch strukturell mitzugestalten. Aber auch um in der Aufarbeitung der Verbrechen, wie sexualisierter Gewalt, die Agenda mit zu bestimmen.
Einführung in die Thematik
Eine Begebenheit aus den syrischen Friedensverhandlungen, von Rees berichtet, verdeutlicht klar die Rolle von Frauen: Lakhdar Brahimi, Sondergesandter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien, betont in einer Eröffnungsrede die Wichtigkeit, die Stimmen syrischer Frauen zu hören. Als diese jedoch zu Wort kamen, war er bereits gegangen. Was muss hier passieren für einen Wandel im Denken?
Rees liefert zunächst erste Denkanstöße zur Erklärung: Weshalb Frauen an Friedensverhandlungen nicht beteiligt sind? Da dominante Narrative in Kriegszeiten klare Rollen für die Geschlechter vorsehen. So auch eine spezifische Konstruktion von Männlichkeit: Der Mann als tapferer Soldat, der mit seiner Waffe Frau, Kind, Sippe und Land verteidigt. Ein Narrativ des umsorgenden Vaters, der zu Hause mit seinen Kindern spielt, wäre mit Kriegsführung schwer vereinbar. Frauen haben in Kriegsnarrativen dagegen die Rolle des Opfers. Die weinende Frau ist in Verhandlungen daher fehl am Platze. Doch diese Narrative sind einseitig und falsch: Frauen sind auch Kämpferinnen. Sie halten Familien zusammen und beschützen Zivilgesellschaft. Verschiedene UN-Resolutionen, wie Resolution 1325, fordern den Einbezug von Frauen in Friedensverhandlungen. Doch bis jetzt waren diese erfolglos, ebenso wie bisherige Friedensverhandlungen in Syrien.
Die aktuelle Situation vor Ort
Einen Überblick der gegenwärtigen Situation in der Region liefert das erste Panel. Der Fokus liegt hier auf der spezifischen Situation von Frauen.
Mariah al Abdeh ist Geschäftsführerin der Organisation „Soriyat for Development“. Diese hat drei „Women-Now“-Zentren in Syrien, in denen gegenwärtig insgesamt Dreitausend Frauen unterstützt werden. Al Abdeh berichtet: der äußere Eindruck Syriens als progressives und säkulares Land vor der Revolution war trügerisch. Stattdessen gab es sehr hohe Raten häuslicher Gewalt, diskriminierende Gesetze, eine hohe Analphabet_innenrate. Frauen spielten allenfalls eine „dekorative Rolle“ in der Politik. In der Revolution 2011 kämpften Männer und Frauen dagegen Hand in Hand. In den belagerten Gebieten im heutigen Syrien sind Frauen die treibende Kraft. Nach der Verhaftung und Ermordung vieler Männer sind sie häufig allein verantwortlich für Familien. Sie sorgen sich ohne Elektrizität und Infrastruktur um Essen und beschützen Kinder und Kranke vor dem Beschuss. Diese zivilgesellschaftliche Arbeit von Frauen in Konfliktzeiten ist enorm wichtig! Trotz Bombardement kommen die Frauen zu den in den Zentren angebotenen Weiterbildungskursen. Und starten hier politisches Engagements: „We need peace“ fordern sie in Demonstrationen.
Iman Abou-Atta, Leiterin der NGO “Social Change trough Education in the Middle East“ forscht zu Menschenhandel in der Region. Dieser betrifft zu einem Drittel Kinder und zu zwei Dritteln Frauen; größtenteils mit dem Ziel sexueller Ausbeutung. Sehr oft sind ihre Familienmitglieder beim Handel involviert. Abou-Atta nennt die Überlebenden „survivors“, nicht „victims“, weil sie gekämpft haben, einiges überlebt und Stärke daraus gezogen haben. Menschenhandel mit dem Ziel sexueller Ausbeutung gibt es seit langem im Irak und bleibt immer, immer unbestraft.
Ala Ali, Ratsmitglied der Al-Amal Association, problematisiert die Situation von Frauen in der irakischen Region Anbar. Hier sind viele Frauen sehr jung und illegal, meist an Al-Kaida-Kämpfer, zwangsverheiratet. Ihre Ehen sind nicht registriert und sie daher innerhalb dieser rechtlos. Auch ihren „illegalen“ Kindern wird der Zugang zu Schulen und dem Gesundheitssystem verwehrt. Damit sind sie leichte Beute für alle Milizengruppen. Die Besetzung der Region durch IS hat nach Ala Ali für Frauen und Männer sehr unterschiedliche Auswirkungen: Während Männer diese oftmals akzeptieren, werden Frauen in ihrem Handeln stark eingeschränkt. Doch Frauen haben begonnen sich zu vernetzen: im „Iraqui Women Network“, in dem Frauen aller ethnischen Gruppen vertreten sind.
Alle Expertinnen aus der Region üben scharfe Kritik an Luftangriffen: Diese verschärfen den Konflikt und gehen primär zu Lasten von Frauen und Kindern. Stattdessen müssen die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft im Zentrum stehen. Doch dazu müsste diese erst mal befragt werden. Es braucht einen Plan für die Region und mehr Investitionen in Bildung!
Beteiligung von Frauen in Friedensverhandlungen
Das zweite Panel der Expertinnen sucht dezidiert nach Lösungsansätzen zur Beteiligung von Frauen in Friedensprozessen.
Frauen in der Diaspora sind eine wichtige Ressource, betont Rajaa Altalli, Leiterin des „Center for Civil Society and Democracy in Syria“. Diese können Frauen zusammenzubringen und Kompetenzen bündeln. Mariam Jalabi, Mitglied des nationalen Verbindungsbüros der UN und des „Syrian Women Network“, bringt ihre Erfahrung aus bisherigen Friedensprozessen in Syrien ein: Frauen sind in diesen physisch nicht präsent, da sie nicht einbezogen werden; auch nicht durch die UN. Genderthemen werden in den Friedensprozessen nicht thematisiert, sondern ausgeklammert. Daher muss die Beteiligung von Frauen am Friedensprozess institutionalisiert werden. Andernfalls degradiert sie zum Randthema. Eine leitende Funktion von Frauen in Entscheidungsprozessen muss nach Jalabi zur Normalität werden, denn „die Revolution ist weiblich“.
Weshalb ist es für Frauen so schwer, in Friedensprozessen beteiligt zu sein? Dieser Frage geht die abschließende Paneldiskussion nach. Politik ist im gesellschaftlichen Diskurs als gefährlich und als dreckiges Geschäft konstruiert. Dadurch können Frauen von politischer Bildung ferngehalten werden. Durch Jahrzehnte patriarchaler Diktatur ist Zivilgesellschaft zudem nur bedingt vorhanden. Ein Mangel an politischer Kultur macht es daher bereits für unterschiedliche Gruppen schwierig, auf politischer Ebene zusammen zu arbeiten. Noch schwerer ist es da erst für Frauen einzusteigen. Hinzu kommen für Frauen schwer erfüllbare Regelungen, wie dass politische Mandate das Reisen innerhalb eines Landes erfordern.
Schließlich ist es eine spezifische Rolle, die Frauen verwehrt bleibt und nicht zugetraut wird: die der Entscheidungsträgerinnen. Sie sind in NGOs tätig, sie beeinflussen, aber sie dürfen keine weitreichenden Entscheidungen auf höheren Ebenen treffen.
Ausblick
Das Fachgespräch hat ein Mal mehr deutlich gezeigt: Spezifische Maßnahmen zum Einbezug von Frauen in Friedensverhandlungen sind notwendig! Sonst werden Frauen von ihnen - und damit erst recht von der Teilhabe an Rechten und Macht im neu zu gestaltenden Staat - ausgeschlossen. Dafür gibt es historisch zu viele Beispiele.
Hierfür müssen veraltete Narrative überwunden werden. Frauen sind keinesfalls lediglich „survivor“, sondern übernehmen vielfältige Aufgaben: vom Schutz der Zivilbevölkerung, zu humanitärer Hilfe, über den gemeinschaftlichen Zusammenhalt bis hin zur Entwicklung von Friedenskonzepten über Grenzen hinweg, aber auch in der Beteiligung am bewaffneten Kampf.
Voraussetzung ist eine Institutionalisierung der Beteiligung von Frauen. Politische Bildung und Sachkompetenz müssen allen Beteiligen - auch Männern - vermittelt werden. Frauen müssen direkt in politischen Entscheidungen partizipieren - nicht nur in der Beeinflussung der Entscheidungsträger. Hier sind in der Region agierende internationale Akteur_innen gefordert! Wie dies zu erreichen ist und wie darüber hinaus geschlechterpolitische Themen in Friedensprozessen mit zum Thema werden können, ist strategisch weiter zu entwickeln.
Madeleine Rees im Interview mit Nicola Popovic (engl.):
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