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Unbezahlte Arbeit ist Bestandteil der Produktion und muss als solcher anerkannt werden

Zwei Frauen putzen den Ofen

Caroline Ausserer: Häusliche Arbeit ist unbezahlte Arbeit und wird nicht als Arbeit anerkannt. In Ihrem Artikel sagen Sie, dass das geändert werden muss, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Könnten Sie uns bitte näher beschreiben, womit Sie sich genau beschäftigen?

Catherine Hoskyns: Ich beschäftige mich derzeit mit der Definition und Messung dessen, was als soziale Reproduktion bezeichnet wird. Das umfasst alles, was nötig ist, um eine Familie aufrechtzuerhalten, Kinder groß zu ziehen, sich um die ältere Generation zu kümmern, ältere Menschen zu pflegen und die Gemeinschaft zu unterstützen. Also die Arbeit, die normalerweise nicht bezahlt und üblicherweise von Frauen ausgeführt wird.

Nationale Maßnahmen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und des BIP lassen diese Form der Arbeit unberücksichtigt und argumentieren, dass sie nicht produktiv und daher nicht Teil der wirtschaftlichen Aktivität sei. Feministinnen haben lange Zeit versucht, auf die Tragweite der sozialen Reproduktion hinzuweisen, und tatsächlich ist es so, dass sich Wirtschaftsaktivitäten nicht ohne diese Art der Betreuungsarbeit steigern lassen.

Bislang sind diese Anstrengungen ohne Erfolg geblieben, obgleich es einige gute Ansätze zur Messung häuslicher Arbeit gegeben hat. Die EU hat 2003 (veröffentlich 2007) eine interessante Studie in zehn Mitgliedsstaaten durchgeführt, die den Umfang dieser Tätigkeiten sowie die Ausführenden untersucht hat. Viel konkreten Nutzen haben die Ergebnisse der Studie jedoch nicht gebracht, obwohl es möglich war, der Arbeit, sobald sie gemessen wurde, einen Geldwert zuzuweisen. Ich habe gemeinsam mit meiner Kollegin Shirin M. Rai einige Mess- und Evaluierungsmethoden für unbezahlte Arbeit erarbeitet. Wir haben unterschiedliche Aspekte dieses Themas beleuchtet, und darum geht es in diesem Artikel.

C.A.: Was haben Sie herausgefunden?

C.H.: Unbezahlte Arbeit schadet dem Einzelnen, wenn sie zu intensiv wird. Wir haben dafür eine entsprechende Formel entwickelt: Wenn die Outputs größer als die Inputs sind, entsteht bedeutender Schaden für die Gesundheit und emotionale Stabilität derjenigen, die die Arbeit verrichten. Wir sind dabei, eine Möglichkeit zu entwickeln, das zu messen, insbesondere in Krisenzeiten. In Zeiten von Sparmaßnahmen hat das massivere Auswirkungen, da die unbezahlte Arbeit von Frauen die Lücken füllt. Das ist so in meinem Land, im Vereinigten Königreich. Es hat viele Kürzungen bei Sozialleistungen und Beihilfen gegeben, was dazu führt, dass Frauen weniger Unterstützung für das, was sie leisten, bekommen.

C.A.: Das Messen unbezahlter Arbeit ist fehlgeschlagen; Sie haben dennoch eine Formel gefunden – wie misst man unbezahlte Arbeit?

C.H.: Das Messen sozialer Reproduktion ist nur ein Aspekt. Die Tatsache, dass soziale Reproduktion nicht gemessen oder anerkannt wird, bedeutet, dass es sehr schwierig ist, Trends zu rekonstruieren. Ich meine z.B. Frauen, die in den Arbeitsmarkt kommen oder diesen verlassen bzw. Teilzeitbeschäftigungen nachgehen und so weiter. Es hat viele Vorschläge gegeben, wie man diese Art der Arbeit messen kann, z.B. durch Zeitbudgeterhebungen oder sogenannte Household Satellite Accounts (Satellitenkonten zur Haushaltsproduktion). Eine regelmäßige Durchführung derartiger Maßnahmen wäre für die Länder allerdings überaus kostspielig und müsste – wie auch andere wirtschaftliche Statistiken – durch die Vereinten Nationen koordiniert werden,

C.A.: Was sind Household Satellite Accounts?

C.H.: Diese messen und taxieren unbezahlte Arbeit. Das kann auf zweierlei Weise geschehen: Entweder, indem man den Ersatz misst: Was würde es kosten, wenn man eine Person für die Pflege, das Reinigen und andere Aufgaben einstellen würde. Oder aber, indem man die Ersatzkosten misst: Was würde die Person, die die häusliche Pflegearbeit übernimmt, verdienen, wenn sie woanders angestellt wäre? Was geht der Volkswirtschaft verloren? In den USA wurden Household Satellite Accounts bereits erprobt.

C.A.: Was werden Sie als Nächstes untersuchen? Sie haben erwähnt, dass Schaden angerichtet wird, wenn die Outputs größer als die Input sind; gleichzeitig zeigen Sie Strategien gegen diese Art der Auszehrung durch soziale Reproduktion auf. Könnten Sie diese Strategien bitte etwas näher erläutern?

C.H.: Einige dieser Strategien - wir nennen sie Strategien zur Abmilderung - reduzieren in der Tat den Schaden, wenn man sie organisieren und bezahlen kann. Abmilderung kann bedeuten, dass die Arbeit unter allen Mitgliedern eines Haushalts aufgeteilt wird oder dass eine externe Person für einen Teil der Arbeit bezahlt wird. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass ein solcher Ansatz dazu führen kann, dass die Auszehrung weiter ans Ende der Kette verlagert wird. Die zweite Strategie heißt Ergänzung: Diese kommt zum Tragen, wenn der Staat beispielsweise Beihilfen oder häusliche Pflege- oder Mutterschutzleistungen anbietet bzw. gute, preiswerte Krippenplätze und Kliniken bereitstellt. Ergänzungsstrategien können in Krisen- oder Rezessionszeiten von Sparmaßnahmen betroffen sein.

C.A. : Außerdem nennen Sie Transformationsstrategien, die dritte Variante in Ihrem Modell.

C.H.: Transformation würde eine vollständige Veränderung der Art und Weise, wie wirtschaftliche Aktivitäten gemessen werden, beinhalten. Unbezahlte Arbeit müsste dann als Teil der Wirtschaftsaktivität eines Landes anerkannt werden, was eine Veränderung der Berechnung des BIP nach sich ziehen würde. Ich denke, dass Politiker nicht bereit sind, diesen Weg zu gehen, denn das würde zu enormen Störungen herkömmlicher Messungen führen. Misst man dennoch unbezahlte, geleistete Arbeit entspricht das normalerweise einem Gegenwert von mindestens 30-40% der Wirtschaftsaktivität. Das wäre also eine gewaltige Veränderung. Ohne das lässt man die Tatsache außer Acht, dass es sich hierbei um eine Subvention an die Wirtschaft handelt. Unternehmen sind darauf angewiesen, dass sich Arbeitskräfte regenerieren und dass sie geschützt werden, ohne dass sie selbst sehr viel dafür zahlen müssen. Sie zahlen den Arbeitnehmern Löhne, beziehen dadurch diese Art der Aktivitäten aber nicht mit ein.

Daher gibt es zwei Dinge, die wir nicht vergessen dürfen: Erstens, die Subventionen, die unbezahlte Arbeit an die Wirtschaft und Wirtschaftsaktivität im Allgemeinen zahlt; zweitens, die Auszehrung, der mögliche Schaden für die Menschen, die diese Arbeit ausführen, wenn sie nicht ausreichend Unterstützung bekommen.

C.A.: Dieser Schaden beinhaltet auch das Nichtanerkennen dieser Art von Arbeit als echte Arbeit.

C.H.: Ich glaube, dass das Thema Nichtanerkennung eine wichtige Rolle spielt. Sobald diese Art der Arbeit anerkannt wird, fällt das sehr ins Gewicht. Ich bin an einem Projekt in Nicaragua beteiligt, das diesen Aspekt verdeutlicht: Einige der Fair-Trade-Verträge haben eine Klausel für “support labour costs”, womit die unbezahlte Arbeit von Frauen, die die Produktion von spezifischen, für den Export bestimmten Anbaufrüchten unterstützen, gemeint ist. Dieses Geld geht an die Frauen und zeigt enorme Wirkung, und ich denke, dass der Grund dafür in der Anerkennung ihrer Arbeit und nicht nur in der Entlohnung liegt. Es geht also darum, dass ihre Arbeit als Beitrag zur Produktion anerkannt wird.

C.A.: Können Sie bitte ein wenig genauer beschreiben, was das für ein Projekt ist?

C.H.: Es läuft in Zusammenarbeit mit diversen Genossenschaften in Nicaragua, die Sesamöl und Kaffee produzieren. Der erste Vertrag wurde mit The Body Shop geschlossen. In Bezug auf die Kosten schlugen wir eine Komponente für die von den Frauen geleistete Arbeit vor. The Body Shop war zunächst etwas zögerlich, willigte aber schließlich ein. Mittlerweile sind sie davon sehr angetan. Die Frauen sind also zu Hause, kochen für die Arbeiter und machen die Wäsche, züchten Tiere, produzieren Käse und kümmern sich um die Kinder. Die Anerkennung der Tatsache, dass diese Arbeit einen Teil der Produktionskosten ausmacht, stellte eine bedeutende Neuerung dar. Mit diesem zusätzlichen Geld richtete die Genossenschaft einen Fonds ein, auf den die Frauen zurückgreifen können, um andere Aktivitäten wie backen oder tischlern zu entwickeln. Die Frauen betreiben den Fonds gemeinschaftlich und haben außerdem ein Spar- und Kreditsystem entwickelt, von dem sie sich Geld leihen können, wenn sie Geld benötigen.

C.A.: Das gibt den Frauen mehr Unabhängigkeit.

C.H.: Es gibt den Frauen dadurch Unabhängigkeit , dass sie Geld haben, auf das sie zurückgreifen können, ohne ihre Männer anzusprechen. Es ist interessant zu beobachten, wie die Männer darauf reagieren werden. Diverse Untersuchungen dazu laufen derzeit. Es bleibt abzuwarten, ob das Ganze letztlich als gute zusätzliche Einkommensquelle für die Familie angesehen oder eher als Bedrohung wahrgenommen wird. Ich denke aber, Ersteres wird der Fall sein.

C.A.: Die Aufrechterhaltung und Ausweitung des staatlichen sozialen Schutzes ist wichtig. Insbesondere in Krisenzeiten leiden Frauen mehr unter Kürzungen als andere.

C.H.: Für sie wird es intensiver. Frauen springen ein, wenn staatliche Leistungen abgebaut werden und die Arbeitslosigkeit steigt. Es gibt einige gute Forschungsarbeiten dazu, die genau das bei vergangenen Krisen in Asien oder Argentinien gezeigt haben.

C.A.: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihrer Arbeit? Die Anerkennung und Messung sowie der Ausgleich für die Auszehrung der sozialen Reproduktion spielen für Geschlechtergleichstellung eine wichtige Rolle. Welchen Weg sollte die europäische Politik vor dem Hintergrund der Europawahlen einschlagen?

C.H.: Ich denke, dass die Europäische Union enormen Einfluss auf Geschlechterthemen hat. In den 1980er Jahren gab es Verfahren am Europäischen Gerichtshof, die sehr bedeutsam waren. Ich erinnere mich daran, dass man nur Klagen hinsichtlich bezahlter Beschäftigung anstrengen konnte, nicht aber in Bezug auf Dinge, die mit dem unbezahlten Arbeitssektor zu tun hatten. Das wurde als nationale Angelegenheit angesehen. In der Statistik könnte die EU ein wichtiger Akteur sein: Sie könnte die vor ungefähr zehn Jahren durchgeführte Zeitbudgeterhebung (Time Use Survey) wiederholen und die Ergebnisse analysieren. Das wäre ein gewaltiger Beitrag. Aber derartige Dinge sind schwierig in Zeiten von Spaßzwängen. Unbezahlte Arbeit anzuerkennen, wäre aber ein guter, erster Schritt; anzuerkennen, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Produktion ist und nicht etwas, auf dessen Erledigung man sich verlassen kann, da Frauen gewöhnt sind, diese Arbeit zu leisten. Unbezahlte Arbeit ist Bestandteil der Produktion und leistet einen Beitrag zur Produktion. Das wäre wirklich wichtig, und die EU könnte hier eine Führungsrolle übernehmen.

C.A.: Welche Erwartungen haben Sie dahingehend an die Wahlen? Glauben Sie, dass das Thema von der EU aufgegriffen wird?

C.H.: Es hat in jüngster Vergangenheit viel Aufmerksamkeit für das Thema Gewalt gegen Frauen gegeben. Das ist wirklich wichtig. Und das Thema, über das wir hier sprechen, hängt damit zusammen: Die Nichtanerkennung der von Frauen geleisteten Arbeit trägt zur Nichtachtung von Frauen bei und das begünstigt Gewalt.

C.A.: Vielen Dank für das Gespräch!