Rechtsgutachten zum Abtreibungsverbot in Polen

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Der #czarnyProtest war zunächst erfolgreich. Das Rechtsgutachten hilft Ausmaß der gesellschaftlichen Proteste zu verstehen

Am 6. Oktober 2016 lehnte der Sejm endgültig das Bürgerbegehren für ein völliges Abtreibungs­verbot in Polen ab, das vom Komitee für eine Gesetzesinitiative mit dem Namen „Stop Aborcji“ (dt. Abtreibungsstopp) vorbereitet worden war. Die unerwartete Abstimmung im Justiz- und Menschenrechtsausschuss und anschließend im Parlament erfolgte aufgrund von Massenstreiks und Demonstrationen von Frauen in ganz Polen und im Ausland. 

Prof. Dr. hab. Monika Płatek bereitete im Auftrag des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten und mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung ein umfängliches Rechtsgutachten zu dem Gesetzentwurf zu einer Änderung des Gesetzes zu Familienplanung , Schutz des menschlichen Fötus und den Zulassungsbedingungen für eine Abtreibung (Gbl. Jg. 1993, Nr. 17, Pos. 78, in der geänderten Fassung) und des Gesetzes vom 6. Juni 1997 zum Strafgesetzbuch (Gbl. Jg. 1997, Nr. 88, Pos. 553, in der geänderten Fassung) vor. Im Folgenden präsentieren wir ausgewählte Schlussfolgerungen aus dem Rechtsgutachten, die dabei helfen sollen, das Ausmaß der gesellschaftlichen Proteste zu verstehen, mit denen von verschiedener Seite auf diese Initiative reagiert wurde:

 

  1. Abtreibungen sollten rechtlich möglich, sicher und selten vorgenommen werden.
     
  2. Der Gesetzentwurf beseitigt die Verpflichtung des Staates zur Garantierung des Rechtes auf eigenständige, verantwortungsvolle und integrale Entscheidung über die eigene Fruchtbarkeit, Körper, körperliche Gesundheit, psychisches und soziales Wohlbefinden sowie hinsichtlich der Familienplanung.  Es hebt die Verantwortung der polnischen Behörden für die Sicherstellung des Rechtes auf Information, Bildung, Beratung, Verhütungsmittel und andere, für eine bewusste Familienplanung geeignete Mittel sowie den Zugang zu pränatalen Untersuchungen für Bürgerinnen und Bürger auf. Unter dem Vorwand des Schutzes von Gesundheit und Leben bringt er Gesundheit und Leben von Müttern und Föten in Gefahr.
     
  3. Das Projekt verbietet jede Art der Abtreibung. Es schließt auch bei Schwangerschaften in Folge einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben der Schwangeren und im Falle eines schwerkranken, deformierten Fötus einen Schwangerschaftsabbruch aus. Das Projekt kriminalisiert konsequent Fehlgeburten, in dem es diese zu einem Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Untersuchung macht.
     
  4. Der unter dem Vorwand des Schutzes des Lebens eingereichte Gesetzesentwurf richtet sich gegen die Menschenwürde, die Gesundheit von Frauen und Föten in der pränatalen Phase sowie in ihrem Leben.
     
  5. Die Schöpfer des Gesetzentwurfes zwingen Frauen in die Rolle von Inkubatoren, indem sie ihnen das Recht auf Selbstbestimmung mit dem Argument absprechen, dass eine Frau ab dem Zeitpunkt der Schwängerung nicht mehr über sich selbst entscheiden könne.
     
  6. Der Inhalt der vorgeschlagenen Vorschriften ist dazu geeignet, zu einem Verbot und zur Kriminalisierung der In-Vitro-Fertilisation und postkoitalen Empfängnisverhütung zu führen.
     
  7. Der Entwurf stützt den Schutz von Leben und Gesundheit auf Instrumente des Strafrechts. Dies steht im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass das Strafrecht im Gesetzgebungsprozess die Rolle einer ultima ratio einzunehmen hat – eines letzten Mittels zur Regulierung menschlichen Verhaltens. Die vorgeschlagenen Änderungen kriminalisieren sowohl das beabsichtigte als auch das unbeabsichtigte Beenden einer Schwangerschaft. Das Strafrecht dient somit im vorliegenden Entwurf als primäres Instrument für die Steuerung der menschlichen Fruchtbarkeit.
     
  8. Genauso wenig, wie keine Schwangere eine Verpflichtung zu einer Abtreibung hat (sie entscheidet selber, ob sie Gesundheitsschäden oder gar ihren eigenen Tod in Kauf nehmen will), kann man eine Schwangere auch nicht zum Riskieren ihrer Gesundheit oder gar ihres Lebens durch das Verbot einer Abtreibung zwingen. Niemand außer der Schwangeren darf über ihr Leben und ihre Fruchtbarkeit entscheiden.
     
  9. Der Schutz des Lebens wird durch das Erfüllen staatlicher Verpflichtungen im Bereich der Garantierung des Menschenrechts auf verantwortliche Entscheidungen hinsichtlich der menschlichen Fortpflanzung gewährleistet. Dies erfordert, dass der Staat seiner Verpflichtung zur Achtung der reproduktiven Rechte von Frauen und Männern nachkommt und demgemäß den Zugang zu Wissen, kostenlosen Untersuchungen inklusive pränataler Tests sowie Verhütungsmitteln einschließlich postkoitaler Empfängnisverhütung gewährt.
     
  10. Der Schutz des Lebens und der Gesundheit erfordert eine Sozialpolitik, die die Achtung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen und Männern sicherstellt sowie Männer und Frauen vor Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt schützt. Menschen mit angeborenen genetischen Defekten ist eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
     
  11. Die Behandlung reproduktiver Rechte im Zusammenhang mit demographischen Problemen ist eine nicht hinnehmbare Instrumentalisierung des Menschen.