Diskriminierungskritisch erschöpft

Feministischer Zwischenruf

Emanzipatorische Arbeit im pädagogischen Bereich​ ist nervenzehrend, erschöpfend und obendrein risikoreich - aber diskriminierungskritische Pädagogik ist nötiger denn je und verdient Anerkennung.

Im Sozialpädagogischen bzw. im Bildungsbereich zu arbeiten fordert heraus. Angemessene Qualifizierung, Erfahrung, Geduld sowie eine konstante Professionalisierung, kann eine schlechte Personaldeckung wettmachen, ebenso wenig eine geringe wirtschaftliche Wertschätzung und nicht zuletzt auch nicht die Erwartungen, die an der eigenen Haltung, nicht weniger werden. Haltung ist immens wichtig, um eine reflektierte (pädagogische) Arbeit zu leisten, dies gehört zwingend zur Professionalisierung.

Ich arbeite im (diskriminierungskritischen) Bildungsbereich mit jungen Menschen, aber auch mit (angehenden) pädagogischen Fachkräften, Erzieher*innen und Lehrer*innen.

Viele junge Menschen berichten mir, dass sie sich in ihren Bildungsinstitutionen nicht sicher fühlen. Sie werden ungerecht behandelt oder schlicht und einfach diskriminiert.

Viele junge Menschen berichten über die Ungerechtigkeit, den Stress, den das auslöst und die Antriebslosigkeit, die daraus folgt. Sie sind erschöpft!

Viele junge Menschen verbringen einen erheblichen Teil ihres Alltages in solchen Bildungseinrichtungen. Sie lernen fürs Leben.

In meiner Arbeit als Referentin tausche ich mich ebenso viel mit Erwachsenen aus, die in der Bildungsarbeit tätig sind. Ihre Rückmeldung: es fehlt überall an Fachpersonal. Das bestätigt auch der Bericht der Kultusminister Konferenz (KMK) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.[1]

Hauptgründe: Krankheit und Erschöpfung. Es fehlt aber auch an gesellschaftlicher Wertschätzung, egal ob ideell oder monetär. Oft reicht es nicht einmal für einen angemessenen Lebensunterhalt. Das erschöpft und demotiviert!

Gleichzeitig befinden wir uns in einer Zeit der stetigen Selbstoptimierung und Leistungssteigerung, beruflich, wie privat. Das erschöpft!

Hinzu kommt für Aktive mit Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen, die im Bildungsbereich tätig sind, eine besondere Belastung. Sie erleben diese Erfahrungen sowohl außerhalb als auch innerhalb ihrer Arbeitsstätten und werden oft angefeindet, nicht ernstgenommen, oft ausgeschlossen, weil sie sich etwa für eine diskriminierungskritische Bildung stark machen. Das erschöpft!

Olenka Bordo Benavides lebt in Berlin und ist Pädagogin, Sozialwissenschaftlerin und Mutter. Sie arbeitet im Bildungsbereich und ist als Dozentin und Teamerin tätig, sowie als Externe Evaluatorin zum Berliner Bildungsprogramm. Ihre Schwerpunkte sind Bildung, Care, Dekolonialität, Empowerment, Diskriminierungs- und Rassismuskritik, Gender, Identität, Inklusion und Transnationalität.

Diskriminierungskritik ist risikovoll

Wie fast überall werden auch im Bildungsbereich Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen verharmlost, als nicht ernstzunehmende Vorfälle, als „subjektive“ Wahrnehmung, als „Du bist zu empfindlich“ bagatellisiert oder gar geleugnet. Der Effekt? Normalisierung. Das erschöpft!

Saraya Gomis, Antidiskriminierungsbeauftragte der Senatsverwaltung für Bildung in Berlin, zum Beispiel, wurde öffentlich diffamiert, weil sie auf Diskriminierung im deutschen Bildungssystem aufmerksam macht.[2]

Wenn es selbst für eine Person in dieser Position riskant ist, sich für eine diskriminierungskritische Bildung stark zu machen, wie sieht es aus für andere (junge) Menschen, die Diskriminierungen anprangern?

Antidiskriminierungsarbeit muss geschützt werden![3]

Ich höre von vielen Kolleg*innen, dass sie oft isoliert sind, wenn sie auf Diskriminierungs- bzw. Ausschlussmechanismen aufmerksam machen, ob in der Schule, Kita oder im weiteren Bildungsweg. Mit Unverständnis wird ihnen vorgeworfen, dass sie ihre „privaten Themen“ oder „Hobbies“ in die Arbeit „mitschleppen“. Sie werden gemobbt und/oder von der Leitung schikaniert. Arbeitsbereiche werden für sie verschlossen und/oder ihre Expertise wird entwertet oder gar aberkannt.

Entsolidarisierung und falsche Erwartungshaltung erschöpft!

Rassismus, Homofeindlichkeit, Sexismus oder Behindertenfeindlichkeit sollten in keiner Form ein Platz in Bildungseinrichtungen haben, weder in Hausordnungen und Regeln („im Schulhof wird nur Deutsch gesprochen“), noch in den Bildungsmaterialien und Büchern (in Form von kolonialrassistischen oder heteronormativen Abbildungen). Ebenso haben sie nichts in dem täglichen Miteinander zu suchen, vor allem nicht in Form von sexistischen Beschimpfungen. Auch nicht als Witz im Kollegium, wenn etwa Briefe von Elternteilen nicht „fehlerfrei“ sind. Und übrigens: Diskriminierung wird nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Eine diskriminierungskritische Praxis ist emanzipatorisch

Eine diskriminierungsfreie Bildung ist ein Recht, daher eine Verpflichtung jeder pädagogischen Praxis. Es ist eine unaufhörliche gesellschaftspolitische Aufgabe und selbstverständlicher Bestandteil eines professionellen Handelns.

Ich betrachte eine diskriminierungskritische Haltung als eine emanzipatorische Handlung.

Eine emanzipatorische Pädagogik beinhaltet eine diskriminierungskritische, wertschätzende und anerkennende Haltung, die (junge) Menschen als Akteur*innen und Expert*innen ihres eigenen Aktionsraums, ihrer eigenen Anliegen und ihrer eigenen Lebenswelt (in der Gemeinschaft) verstehen. Eine emanzipatorische Pädagogik ist ein Anliegen von feministischen Praxen (siehe bell hooks, Toni Morrison, etc.)

Diskriminierungskritische Expertise – Professionelle Haltung

Was aber tun gegen rassistische oder diskriminierende Aussagen in Bildungseinrichtungen? Meine Empfehlung: Stellung beziehen, die eigene Haltung reflektieren, sich im Team auszutauschen und sich von erfahrenen Expert*innen kompetent begleiten lassen. Das kann Vorbildcharakter haben, um Stellung zu beziehen, Widerstand zu leisten. Ein allgemeingültiges „Rezept“ gibt es leider nicht.

Ich frage mich, warum haben wir es in der Kita, in der Schule, in der Ausbildung oder im Studium nicht als Selbstverständlichkeit gelernt, eine diskriminierungskritische Haltung zu haben?

Wann haben wir verlernt, bei Ungleichbehandlungen und Ungerechtigkeit Stellung zu beziehen, aufzubegehren?     

Ich bin dafür, dass der Umgang mit diskriminierenden Situationen als verpflichtendes Fach gelehrt wird, wie etwa Entwicklungspsychologie!

Bei der Arbeit an der eigenen Haltung und einer reflektierten, pädagogischen Praxis geht es um pädagogische Fähigkeiten, die es ermöglichen Grundsätze von Diskriminierungskritik und Gleichheit sachkundig und kompetent zu achten, nicht etwa um eine Beliebigkeit oder einen Gefallen.

Es lohnt sich!

An alle diskriminierungskritisch Erschöpften:

„... Ich wünsche mir mehr Raum für Schwäche. Wir können nicht tagein tagaus richtig handelnde, starke, kritische SuperheldInnen sein.„

Kübra Gümüşay, 2015.[4]