Es ist akute Internetrettung angezeigt. Schon wieder. Die EU Urheberrechtsreform verankert Uploadfilter. Es droht ein Overblocking. Besonders Frauen* könnten davon betroffen sein.
An einem feministischen Internet arbeiten wir noch – wie erfolgreich wird sich in mittelferner Zukunft zeigen. Trotzdem ist schon wieder akute Internetrettung angezeigt. Aktuell wird europaweit gegen die potentiellen Auswirkungen der EU Urheberrechtsreform gekämpft. Dabei klingt Reform in diesem Zusammenhang erstmal gar nicht schlecht, ist das Urheberrecht doch durchaus reformbedürftig. Der Teufel liegt im Detail, genauer in Artikel 13 des vorgeschlagenen Entwurfs.
Der will verpflichtend sogenannte Upload-Filter einführen. Profitorientierte Onlineplattformen müssten dann alle von Benutzer*innen hochgeladenen Inhalte vor Veröffentlichung auf Urheberrechtsverletzungen prüfen. Das heißt: jedes Bild auf Facebook oder Instagram, jedes Video auf YouTube oder Vimeo, aber auch alle anderen Inhalte auf so gut wie allen anderen Onlineplattformen. Im Klartext heißt das: benutzer*innengenerierter content müsste erst gefiltert, geprüft und für urheberrechtlich unbedenklich befunden werden. Im Umkehrschluss, wird ein Inhalt als urheberrechtlich geschützt identifiziert, egal ob korrekterweise oder nicht, könnte der Inhalt gar nicht erst veröffentlicht werden.
Nun ist Frau* vielleicht versucht einzuwenden, es gäbe im Internet doch dringenderes und wichtigeres zu erreichen oder zu verhindern. Schließlich finden sich Rassismus und Sexismus so ziemlich überall wo Menschen sich in Kommentaren einbringen. Schließlich ist digitale Gewalt nicht nur allgegenwärtig, es besteht noch nicht mal Konsensus darüber, dass Worte im Internet Gewalt darstellen und Folgen haben können auch wenn nicht gleich offline Mord oder Vergewaltigung angedroht werden. Nicht mal letzteres wird durchgehend ernst genommen und von einem feministischen Internet scheinen wir so gesehen tatsächlich noch weit entfernt. Ist es da wirklich so tragisch, wenn es künftig etwas weniger Content durch irgendwelche Filter schafft?
Ja, das ist es. Denn mensch braucht sich nicht gleich auf die Seite der bedingungslosen Free Speech Brigade zu schlagen um Uploadfilter bedenklich zu finden. Ein kritischer Blick auf Machtfragen und was Uploadfilter in der Praxis bedeuten können reichen aus um zum selben Schluss zu gelangen.
#NotHeidisGirls - Contentfilter sind fehleranfällig
Einen ersten Vorgeschmack auf was uns da großflächig und (noch) automatisiert(er) erwartet, haben wir bereits. Zu Heidi Klums 2018 Staffel von “Germany’s Next Topmodel” lancierten Aktivist*innen von pinkstinks.de gemeinsam mit der YouTuberin Lu Likes und Hamburger Schülerinnen die Kampagne #NotHeidisGirls. Kernstück war dabei ein auf YouTube veröffentlichtes Video mit einem eigens dafür komponierten und aufgenommenen Protestsong, der sich gegen body shaming und stereotype Geschlechterbilder in der Sendung richtete. Und dies so erfolgreich, dass das Video nicht nur rasend schnell views und likes anhäufte, sondern auch die Presse das Thema aufgriff und Lu Likes zu Gast bei RTLs “Guten Morgen Deutschland” war.
Das Video wurde während der Sendung eingespielt – und verschwand kurz danach für etwa acht Stunden von YouTube. Was ist passiert? YouTube betreibt bereits ein System namens Content ID, zur automatischen Durchsetzung des Urheberrechts. Zurzeit ist Content ID nicht Pflicht, sondern steht Rechteinhaber*innen (wie RTL) als Angebot zur Verfügung. Da das Video auf RTL ausgestrahlt wurde, wurde RTL fälschlicherweise als Rechteinhaber identifiziert und das Video kurzerhand entfernt. Nach Beschwerde wurde der Fehler zwar rückgängig gemacht, aber für das Momentum der Kampagne war der Ausfall ein herber Rückschlag.
Sexfilter als Normierungsfilter
Dass Internet Filtern nicht funktioniert, wissen wir auch längst. Eine Konsequenz der Porno Filter in Großbritannien war zum Beispiel, dass auch Inhalte zu sexueller Aufklärung und Gesundheit, LGBTQ* Themen und sex-positive feministische Blogs großzügig mitblockiert wurden. Auch der inzwischen bereits Jahre andauernde “war on sex“ im Internet zeigt Folgen. Erst letztes Jahr wurden in den USA per Gesetz gegen Menschenhandel zu sexuellen Zwecken (FOSTA/SESTA) auf einen Schlag Millionen Sexarbeiter*innen vom Internet verbannt, mehrheitlich Frauen, LGBTQ* und PoC, die nun online keinen Platz und keine Stimme mehr haben. Beispiele gibt es viele: Facebook verbietet Sex, Google Drive lässt Inhalte verschwinden, PayPal lässt lieber die Finger von allem was irgendwie mit Sex zu tun haben könnte, und was Twitter genau tut weiß wohl keine*r so genau.
Plattformen leisten vorauseilenden Gehorsam
Was hat das mit dem Urheberrecht zu tun? Um keinen Konflikt mit FOSTA/SESTA zu riskieren, filtern diese und andere Plattformen freiwillig per policy und zwangsläufig irrenden Algorithmen weitaus mehr Inhalte als notwendig. Schließlich würden sie sich im Zweifelsfall strafbar machen. Artikel 13 der EU Urheberrechtsreform überträgt nun dieselbe Logik von Sex auf Urheberrecht (und von den USA nach Europa): Onlineplattformen wären haftbar für benutzer*innengenerierte Inhalte. Und da Urheberrechtsverletzungen weiter verbreitet sind als sex trafficking, dürften die entsprechenden Uploadfilter auch weitaus mehr Inhalte blockieren. In der Praxis würde das bedeuten, dass viele sogenannte “false positives“ zu erwarten sind – Inhalte also, die wie das Video von pinkstinks.de im Zweifelsfall erstmal blockiert werden.
So ein rechtlicher Anreiz zu vermehrter Zensur durch Dritte ist jedoch nicht nur schlecht für Kreative, sondern auch für alle Internet Benutzer*innen auf Suche nach Inhalten. Dabei geht es einerseits um die geblockten Inhalte an sich. Dazu belegt die Forschung auch, dass von Frauen* kreierte Inhalte auf Onlineplattformen nicht nur untervertreten sind, sondern auch häufiger geblockt werden. Eine EU-weite Einführung von Uploadfiltern kann diese Tendenz noch verschärfen. Andererseits besteht aber auch das Risiko, dass Internationale Plattformen, die sich den Uploadfilter nicht leisten können oder wollen, einfach alle Benutzer*innen aus der EU geoblocken. Die Infrastruktur dazu ist ja spätestens seit der Einführung der DSGVO schon gut erprobt.
Die Macht bleibt bei den Mächtigen
Nach letztem Stand sind einzig Plattformen von Uploadfiltern ausgenommen, die sowohl jünger als drei Jahre sind, unter 10 Millionen Euro Jahresumsatz erreichen, als auch weniger als 5 Millionen monatliche Benutzer*innen haben. Besonders das erste Kriterium dürfte viele Nischen Angebote treffen, die zwar unter der Umsatz/User Schwelle liegen aber schon länger als drei Jahre im Netz sind, so zum Beispiel auch alternative Soziale Netzwerke oder queere und feministische online Communities.
Dazu kommt, dass außer den Großen, wie Google und Facebook eigentlich niemand in der Lage ist Uploadfilter vollumfänglich zu gewährleisten. Das heißt, dass der Rest des Internets quasi genötigt wäre, das obligate Filtern an eben diese auszulagern (oder gleich das Handtuch zu werfen). Die Folge: noch mehr Daten an Google und Facebook und damit noch mehr Machtkonzentration. Nicht zuletzt bedeutet das auch, dass sogar Inhalte, die Benutzer*innen eben nicht bei Facebook oder YouTube veröffentlichen wollten (vielleicht aus Gründen?) im Endeffekt indirekt trotzdem dort landen könnten.
Retten wir das Internet!
Was nun? Die Ausformulierung des endgültigen Texts fand letzte Woche im Trilog statt. Nun werden die Abgeordneten des EU Parlaments das letzte Wort erhalten – voraussichtlich noch vor den im Mai anstehenden Europawahlen. Und genau da liegt die letzte Gelegenheit das Internet (wie wir es kennen) noch zu retten.
Mehr als 4.7 Millionen Europäer*innen haben die entsprechende Petition ans EU Parlament bereits unterschrieben. Damit ist es wohl die größte Europäische Petition aller Zeiten – aber darauf verlassen, dass dies ausreicht können wir uns nicht. Jetzt gilt es Abgeordnete zu kontaktieren und ihnen so klar wie möglich zu machen, dass sie diese Version der EU Urheberrechtsreform ablehnen müssen. Viele von ihnen möchten schließlich gerne bald wiedergewählt werden. Vielleicht lohnt es sich dabei darauf hinzuweisen, dass neben Wissenschaftler*innen und weiteren Expert*innen, die schon lange vor den Negativfolgen von der geplanten Urheberrechtsreform warnen, nicht mal mehr die Rechteinhaber*innen voll hinter dem Projekt stehen.