Der Mehraufwand von Familien – Kompensation und Fehlanreize der deutschen Familienpolitik

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Die Existenzsicherung von Kindern soll durch die neue Kindergrundsicherung endlich umgesetzt werden. Aktuell führen Kinderfreibeträge jedoch häufig eher dazu, dass einkommensstarke Eltern profitieren.

Das Bild zeigt eine Person mit langen Haaren, die eine Treppe aus Geldmünzen nach oben steigt. Auf der obersten "Treppenstufe" sind Bücher, ein Fußball und eine Gitarre abgebildet.

Die finanzielle Existenzsicherung von Kindern durch den deutschen Wohlfahrtsstaat erfolgt aktuell durch den dualen Familienleistungsausgleich. Er soll den Mehraufwand ausgleichen, der Familien durch Kinder entsteht, und damit die wirtschaftlichen Nachteile, die Eltern gegenüber Kinderlosen belasten, kompensieren. Die grundlegende Versorgung des Kindes soll so mindestens bis zu seinem 18. Lebensjahr abgesichert sein. Er setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: den steuerlichen Freibeträgen sowie dem Kindergeld. Im Zuge der Steuerklärung prüft das Finanzamt, ob sich das Kindergeld oder die Freibeträge günstiger für die Eltern auswirken.

Freibeträge höher bei höherem Einkommen

Da Eltern dazu angehalten sind, ihre Kinder an ihrem Lebensstandard teilhaben zu lassen, wird davon ausgegangen, dass mit der Höhe des elterlichen Einkommens auch die Kosten für die Kinder steigen. Diese fiktiven Ausgaben für einen kindlichen Lebensstandard führen zu einer Entlastung bei der Einkommenssteuer durch Freibeträge, die mit steigendem Einkommen höher ausfallen.[1] Neben dem Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum, also für die unmittelbaren Sachausgaben für das Kind, ist ein weiterer Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA) vorgesehen (§ 32 Abs. 6 EStG).[2] Die Freibeträge stehen jedem Elternteil jeweils zur Hälfte zu.[3] Alleinerziehende erhalten den halben Freibetrag, sie können jedoch eine Übertragung der anderen Hälfte beantragen. Des Weiteren besteht für alleinstehende Alleinerziehende die Möglichkeit, einen steuerlichen Entlastungsbetrag geltend zu machen (§ 24b EStG). Häufig reicht ihr Einkommen jedoch nicht aus, um vom Freibetrag oder Entlastungsbetrag profitieren zu können.[4]

Kindergeld für alle?

Da kindesbedingte Freibeträge erst in der jährlichen Einkommenssteuererklärung berücksichtigt werden, erhalten Eltern monatlich eine einkommensunabhängige steuerfreie Vorauszahlung: das Kindergeld. Das Kindergeld bleibt steuerfrei und fungiert insofern als monatliche Vorauszahlung der Freibeträge, damit die Existenzsicherung des Kindes gewährleistet ist. Hiervon profitieren in der Regel vor allem Familien mit kleinen und mittleren Einkommen, die nur wenig steuerliche Entlastung durch die Freibeträge erhalten würden. Das Kindergeld wird lediglich einem Elternteil ausgezahlt (§ 31 EstG, Bundeskindergeldgesetz (BKGG)).[5] Nach einer Trennung müssen die Eltern daher eine Einigung darüber erzielen, wer das Kindergeld bezieht. Der Leistungsbezug des Kindergeldes wirkt sich für den betreuenden Elternteil unterhaltsmindernd aus.[6] Bei Eltern, die ALG II beziehen, wird das Kindergeld vollständig auf die Leistungen des Jobcenters angerechnet. Das soll sich mit der Kindergrundsicherung ändern.

Weitere Instrumente der Existenzsicherung für Kinder

Neben diesen beiden Instrumenten des Familienleistungsausgleichs dienen Sozialleistungen dazu, die Existenzsicherung für Kinder zu gewährleisten beziehungsweise bestimmte Familien dabei zu unterstützen:

  • Wenn das Einkommen nicht für die ganze Familie reicht, erhalten Erziehungsberechtigte nach Antrag einen Kinderzuschlag durch die Familienkasse am Wohnort ab einem Einkommen, das über der Beantragungsschwelle für das Bürgergeld liegt und unterhalb einer Höchsteinkommensgrenze (§ 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG)).[7]
  • Ihnen stehen außerdem Leistungen für die Bildung und Teilhabe (BuT) durch die Familienkasse zu, die die Teilnahme an Angeboten in Schule und Freizeit ermöglichen soll (§ 6b BKGG).[8]
  • Eltern ohne Einkommen haben ein Recht auf Bürgergeld und Sozialhilfe, orientiert am errechneten Existenzminimum[9] durch die jeweiligen Sozialämter. Sofern die Familie von der Grundsicherung lebt, wird das Kindergeld als Einkommen (des Kindes) angerechnet und mindert daher den Anspruch auf Grundsicherungsleistungen (§ 11 SGB II und XII).[10]
  • Alleinerziehende erhalten Leistungen zur Sicherung des Unterhalts von Kindern durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (UVG), insofern es keinerlei Mitbetreuung durch den anderen Elternteil gibt und dieser seiner Unterhaltsschuld gegenüber dem Kind nicht nachkommt. Auf den Unterhaltsvorschuss wird jedoch das Kindergeld angerechnet, weshalb sich eine Erhöhung des Kindergeldes mindernd auf den Kindesunterhalt auswirkt (§ 1612b BGB).[11]
  • Als weitere Sozialleistungen gelten Wohngeld und BAföG.

Fehlanreize der deutschen Familienpolitik

Als sozial wenig ergiebig steht der duale Familienleistungsausgleich schon lange in der Kritik. Wegen der progressiven Einkommensbesteuerung, welche dem Zweck dient, einkommensstarke stärker als einkommensschwache Gruppen durch Steuern zu belasten, erwirken Steuerfreibeträge für familiale Leistungen, dass gerade besonders hohe Einkommensgruppen von den familialen Freibeträgen profitieren. Der Grundsatz der Kompensation, nach dem ein*e Millionär*in mit Kind keinen Euro weniger haben darf als ein*e Millionär*in ohne Kind, erwirkt eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben und taugt nicht zur Reduzierung von Kinderarmut. Im Gegenteil: Soziale Ungleichheit wird durch die Steuerfreibeträge unterstützt – entlang der Einkommensstärke steigt die staatliche Unterstützung, die Eltern für ihre Kinder erhalten.

Des Weiteren ergeben sich für heterosexuelle Elternpaare Ungleichheiten auf Basis von Geschlecht: Da Väter nach wie vor mehr verdienen als Mütter, kommen die Steuervergünstigungen infolge kindesbedingter Freibeträge im Einkommensteuerrecht häufiger ihnen zugute als den Müttern. Durch familienbezogene Freibeträge werden sie in die Lage versetzt, den Lebensunterhalt der von ihnen finanziell abhängigen Frauen und Kinder gewährleisten zu können,[12] während die Mütter deutlich mehr unbezahlte Betreuungs- und Erziehungsarbeit erbringen. Für den Zeitraum des gemeinsamen Aufziehens von Kindern fördert der duale Familienleistungsausgleich das männliche Familienernährermodell, durch das Frauen und Kinder, sofern die Beziehung scheitert und die Mütter ihre Kinder alleine erziehen, in Armut gedrängt werden.

Der Familienleistungsausgleich sollte daher durch eine Kindergrundsicherung ersetzt werden, die sich an den Bedarfen von Kindern orientiert.


 

Mehr über diesen Vorschlag zum Elterngeld gibt es in unserem aktuellen Policy Paper "Finanzierung von Familien neu denken: Kindergrundsicherung und Elterngeld" der Reihe Körper, Kinder Kassensturz.

 

[1] Da mit steigendem Einkommen Familien stärker entlastet werden, wird der Leistungsausgleich umgangssprachlich auch als ‚schichtspezifischer‘ Familienleistungsausgleich bezeichnet (vgl. Haller 2022a, S. 155).

[2] Im Jahr 2023 beträgt der Kinderfreibetrag 6.024 € und der Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf 2.928 € (vgl. BMFSFJ 2023a). Die Freibeträge werden derzeit wirksam ab einem steuerlichen Jahreseinkommen von ca. 74.000 € (vgl. Reckmann/Nöhring 2022, S. 169). Sie werden bis zum 18. Lebensjahr des Kindes gewährt. Während der Ausbildung oder eines Studiums kann der Kinderfreibetrag bis zum 25. Geburtstag des Kindes in Anspruch genommen werden.

[3] Bei Ehepaaren in der Lohnsteuerklassenkombination IV/IV wird der Kinderfreibetrag hälftig bei beiden Elternteilen berücksichtigt. Bei Ehepaaren in der Lohnsteuerkombination III/V kommt hingegen der gesamte Kinderfreibetrag der Lohnsteuerklasse III zugute (vgl. Haller 2018, S. 95).

[4] Vgl. Lenze 2020, S. 14. Nach einer Trennung oder Scheidung wird bei beiden Eltern der Kinderfreibetrag jeweils zur Hälfte berücksichtigt, unabhängig davon, wo das Kind lebt. Eine Übertragung kann beantragt werden, wenn z.B. die Unterhaltspflichten nicht erfüllt werden (vgl. BMFSF 2023b). Der Entlastungsbeitrag wird bei der Lohnsteuer bei einem Wechsel in die Lohnsteuerklasse II berücksichtigt.

[5] Seit dem 1. Januar 2023 bekommen Eltern für jedes Kind bis zum 18. Geburtstag 250 €, bei Arbeitslosigkeit des Kindes verlängert sich der Anspruch bis zum 21. Geburtstag, bei Ausbildung oder Studium bis zum 25. Geburtstag (vgl. BMFSFJ 2023c). Kindergeld wird erst auf Antrag ausgezahlt; es wird bei der Steuererklärung automatisch miteinberechnet, ob es beantragt wurde oder nicht.

[6] Vgl. Haller/Henninger/Wimbauer 2011, S. 41.

[7] Der Kinderzuschlag wurde zum 1. Januar 2023 auf monatlich bis zu 250 € pro Kind erhöht. Er muss alle sechs Monate neu beantragt werden. Das Bruttoeinkommen der Familie muss mindestens 900 € (Paare) bzw. 600 € (Alleinerziehende) betragen.

[8] Der durchschnittliche Betrag des BuT liegt für das Jahr 2024 monatlich bei 28 € pro Kind. Der Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung (BEA, monatlich umgerechnet ca. 244 €) und sozialrechtlich gewährte Beträge für Bildung und Teilhabe gehen also weit auseinander. Plakativ formuliert: Kindern aus armen Familien wird ein geringerer Bedarf an Teilhabe unterstellt als Kindern aus reichen Familien (vgl. BMF 2022; Reckmann/Nöhring 2022, S. 170).

[9] Das sächliche Existenzminimum eines Erwachsenen wird für 2023 auf 10.908 € veranschlagt; das sächliche Existenzminimum eines Kindes mit 6.024 € (vgl. Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten 2022).

[10] Sofern Eltern zur Finanzierung des Unterhalts nicht in der Lage sind, geht die Unterhaltspflicht auf den Staat über. Zur Sicherung des kindlichen Lebensunterhaltes ist im SGB II und im SGB XII der Regelbedarf festgeschrieben, auf dessen Grundlage das Kind Anspruch auf Bürgergeld und Sozialhilfe hat (§ 2 SGB II). Das Kindergeld gilt in diesem Kontext jedoch als Einkommen des Kindes und mindert dessen erfassten Bedarf an Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II während es gemäß dem Einkommensteuergesetz nicht zum Einkommen zählt (vgl. Haller 2022b, S. 91).

[11] Erhöhungen des Kindergeldes kommen somit bei Alleinerziehenden nicht an.

[12] Hier kommen Ehegattensplitting und beitragsfreie Mitversicherung von Ehe- und Lebenspartner*innen noch hinzu.