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LGBTI-Rechte: Die Yogyakarta-Prinzipien immer im Gepäck

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Gesellschaftliche Stigmatisierung und Diskriminierung gegenüber Menschen, die nicht der heterosexuellen „Norm“ entsprechen, gibt es überall auf der Welt. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) sind in vielen Ländern kriminalisiert und häufig brutaler Gewalt ausgesetzt: Todesstrafe gegen Homosexuelle, Diskriminierung im medizinischen Umgang mit Intersexuellen, fehlende rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und die Benachteiligung im Gesundheitssystem – die Liste von Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität ist lang.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die alle Menschen gleich welcher sexuellen Identität einschließt, reicht ganz offensichtlich als Schutzgarantie noch nicht aus. LGBTI-Gruppen und Organisationen und einige Menschenrechtsorganisationen ringen deshalb seit Jahren darum, dass LGBTI-Rechte als spezifische Menschenrechte anerkannt werden, kriminalisierende Gesetze abgeschafft und eigene Schutzbestimmungen eingeführt werden.



Die gute Nachricht ist, dass sich in dieser Hinsicht einiges bewegt. Zum Beispiel die Yogyakarta-Prinzipien: Sie geben Orientierung für das Engagement für Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen – für zivilgesellschaftliche und vor allem auch staatliche Akteure. Sie verweisen gebündelt und unmissverständlich auf die von Regierungen einzuhaltenden völkerrechtlichen Pflichten.



Überraschende Einigkeit



Von der Öffentlichkeit leider kaum wahrgenommen wurde die Resolution des UN-Menschenrechtsrats zu „Menschenrechten, sexuelle Orientierung und Gender-Identität“, die von Brasilien und Südafrika Mitte Juni 2011 eingebracht wurde. Unter Federführung des Hochkommissars für Menschenrechte soll bis Ende Dezember 2011 eine Studie erstellt werden, die weltweit diskriminierende Gesetzgebung und Praktiken sowie Gewaltakte gegen Individuen aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität dokumentiert. Die Ergebnisse sollen bereits im März 2012 bei der 19. Menschenrechtsratssitzung diskutiert und ggf. weitere Schritte eingeleitet werden. Dass diese Resolution eine Mehrheit im Menschenrechtsrat erhalten hat, ist eine kleine Sensation, sitzen doch Regierungen wie Uganda oder Kuwait im Menschenrechtsrat, die LGBTI verfolgen, diskriminieren und Homosexualität als Krankheit bezeichnen. Dass sich die USA und Kuba im Menschenrechtsrat wie bei dieser Resolution einig waren, kommt auch selten vor.



Bewegung gibt es auch auf Ebene bundesdeutscher Ministerien. Das Auswärtige Amt und das Entwicklungshilfeministerium (BMZ) nehmen sich erstmals mit größerer Intensität als früher der LGBTI-Rechte an. Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes ist zu lesen, dass sich die Bundesregierung in den auswärtigen Beziehungen gegen jede Benachteiligung aufgrund von sexueller Orientierung wendet und sich konsequent gegen die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen einsetzt. In welcher Form sie das tut, ist bislang nur schwer nachzuvollziehen. Hier fehlt es noch an Transparenz an gleicher Stelle. Die Yogyakarta-Prinzipien müssten Teil der diplomatischen Ausbildung sein, und sie gehören letztlich ins Gepäck jedes Botschafters und jeder Botschafterin.



Mehr Unterstützung gefordert



Auch das BMZ hat die Relevanz erkannt und die LGBTI-Rechte explizit im neuen Menschenrechtskonzept des BMZ aufgenommen. Das muss nun konkretisiert werden, durch programmatische Verankerung und finanzielle Unterstützung. Dazu zählt auch ein Topf für unbürokratische politische und finanzielle Hilfe, wenn LGBTI-Gruppen Unterstützung brauchen. Und Menschenrechtsverletzungen gegen LGBTI bei Regierungsverhandlungen und bilateralen Gesprächen thematisieren, sollte selbstverständlich werden. Auch sollte es in Zukunft entsprechende Fortbildungen geben, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMZ und die ihrer Durchführungsorganisationen, allen voran die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Gemessen an anderen Gruppen, deren Menschenrechte bedroht oder eingeschränkt sind, erfahren Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle viel zu wenig politische und finanzielle Unterstützung. Lediglich neun von 16.500 deutschen Stiftungen und Organisationen fördern die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bi-, und Intersexuellen sowie Transgender im Ausland. Dies belegte die Studie „Menschenrechte fördern! Deutsche Unterstützung für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intersexuelle Menschenrechtsarbeit im Globalen Süden und Osten“, die im August 2011 von dem Deutschen Institut für Menschenrechte und der Dreilinden gGmbh vorgelegt wurde.



Neun von 16.500 deutschen Stiftungen und Organisationen – das sind entschieden viel zu wenig. In der internationalen Zusammenarbeit braucht es viel mehr Mitstreiterinnen und Mitstreiter beim Schutz vor Diskriminierung und Kriminalisierung von LGBTI. Die finanzielle und politische Unterstützung von LGBTI muss integraler Bestandteil jeder Menschenrechts- und Geschlechterpolitik sein. Auch die deutschen nicht-staatlichen Entwicklungsorganisationen und die sogenannten Mainstream Menschenrechtsorganisationen müssen viel stärker als bislang die Rechte und Schutzbedürfnisse von LGBTI in ihre Arbeit integrieren. Die International Gay and Lesbian Human Rights Commission und die haitianische Organisation SEROvie haben in einem briefing paper auf die besondere Verwundbarkeit (Gewalt, Vergewaltigungen und Gesundheit) und die Schutzbedürfnisse von LGBTI in Katastrophen, seien es Tsunamis oder wie das Erdbeben 2010 in Haiti, hingewiesen. Hilfsorganisationen müssen hierfür sensibilisiert werden. Bei Sofortmaßnahmen brauchen LGBTI ggf. eigene Schutzräume. Bei Wiederaufbaumaßnahmen aber auch in Präventionsplänen sollen Vertreterinnen und Vertreter von LGBTI einbezogen werden, um ihre besonderen Bedürfnisse besser zu berücksichtigen. Menschenrechtspolitik muss letztlich sektorübergreifend angelegt sein. Wer Frauen- und LGBTI-Rechte in anderen Ländern unterstützen will, kann sich dabei nicht nur auf die Außen- und Entwicklungspolitik konzentrieren.



Leise und fernab der Öffentlichkeit



Und wie steht es um LGBTI-Rechte in Deutschland? Als die Bundesregierung 2008 turnusgemäß den CEDAW-Bericht vorlegte, um einen Überblick über die Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women – CEDAW) zu geben, verfassten intersexuelle Menschen – um ein Beispiel zu nennen – einen Schattenbericht, in dem sie auf ihre speziellen Diskriminierungen aufmerksam machten. Kritisiert wird unter anderem, dass mit medizinischen Mitteln versucht wird, intersexuelle Kinder anzupassen. Medizinische Indikation sowie eine Qualitätskontrolle fehlen dabei oftmals. So kommt es vor, dass beispielsweise intersexuelle Menschen mit überwiegend völlig intakten weiblichen Geschlechterorganen zu Jungen bzw. Männern operiert werden. Nicht nur wird die Mutterschaft so unmöglich gemacht, auch die sexuelle Selbstbestimmung wird eingeschränkt. Der CEDAW-Ausschuss hat Deutschland daraufhin aufgefordert, in den Dialog mit Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen und transsexuellen Menschen einzutreten, um ein besseres Verständnis für deren Anliegen zu erlangen und wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenwürde zu ergreifen. Die Bundesregierung hat hieraufhin den Deutschen Ethikrat beauftragt, eine Stellungnahme zur Situation von intersexuellen Menschen vorzulegen. Im Juni 2011 legte der Ethikrat eine erste Einschätzung vor.



Der Kampf für die rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung von LGBTI-Menschen wird noch lange dauern. Sexuelle Selbstbestimmung und ein Leben in Freiheit sind leider für viel zu viele LGBTI weit entfernt von jeder Realität. Mehr denn je organisieren sie sich selbst in Ländern, in denen sie dafür ihr Leben riskieren. Manche engagieren sich im Untergrund oder müssen ein anstrengendes Doppelleben führen. Sie brauchen Solidarität und Unterstützung – politische und finanzielle. Zu ihrem Schutz muss das manches Mal leise und ohne Öffentlichkeit geschehen.

Es sind in erster Linie staatliche Akteure, die LGBTI-Rechte anerkennen, umsetzen und Verstöße dagegen verfolgen müssen. Die internationalen Menschenrechtsabkommen sind hierfür ein sehr wichtiger Referenzrahmen. Die neuen Initiativen im UN-Menschenrechtsrat sind ein kleiner Hoffnungsschimmer, der helfen kann, Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen und öffentlich zu machen, dass sie mit der Kriminalisierung und Diskriminierung von LGBTI permanent gegen Völkerrecht verstoßen. Zivilgesellschaftliche Akteure können und müssen in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: Hirschfeld-Eddy-Stiftung Band (Hrsg.) 2011: Yogyakarta Plus. Menschenrechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle in der internationalen Praxis, Berlin.

Barbara Unmüßig

ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.