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Geschichte des Ehegattensplitting: Von der Nicht-Diskriminierung von Paaren zur Diskriminierung von Individuen

Die historische Begründung für die Einführung des Ehegattensplittings resultiert aus dem hohen grundgesetzlichen Schutz der Institution Ehe. Die gemeinsame steuerliche Veranlagung von Ehegatten galt bereits in Preußen im 19. Jahrhundert. Hier wurden Steuern „nach Haushaltungen“ erhoben, indem das gesamte Einkommen eines Haushalts zusammengefasst und besteuert wurde. Dieses Steuersystem beruhte auf der Annahme, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei zusammen lebenden Personen größer ist, da sie vieles nur einmal bräuchten und voneinander profitierten.

Luftaufnahme einer Vorortsiedlung
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Das Ehegattensplitting beruht auf der Idee, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei zusammen lebenden Personen größer ist

Auf diese Weise wurden Ehepaare stärker besteuert als zwei vergleichbare allein Lebende. Obwohl es in den 1920er Jahren Bestrebungen gab, die Zusammenveranlagung von Eheleuten aufzuheben, wur-den diese Fortschritte 1934 wieder eingeschränkt und die Zusammenverlagung sowie eine höhere Progression eingeführt – durchaus mit dem Ziel, die Frau entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie aus dem Erwerbsleben fern zu halten. Dieses Modell der Einkommensbesteuerung wurde im wesentlichen von der Bundesrepublik übernommen. Im Jahre 1957 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Zusammenveranlagung in der bis dahin praktizierten Form – also in Verbindung mit der uneingeschränkten Progression – gegen den grundgesetzlichen Schutz der Ehe nach Art. 6 I GG verstoße, denn Ehegatten dürften aus ihrer Heirat keine systematischen Nachteile entstehen (1). Daraufhin wurde zunächst eine Übergangslösung eingerichtet, die ein Wahlrecht der Steu-erpflichtigen zwischen gemeinsamer, eingeschränkt getrennter und vollständig getrennter Veranla-gung vorsah. Problematisch an der Übergangsregelung war die Tatsache, dass auch diese nicht uneingeschränkt dem Verfassungsurteil entsprach: Benachteiligt wurden Ehepaare, bei denen nur ein Partner – meist der Mann – Einkommen erzielte und die Frau aus Hausfrau und Mutter tätig war. Dieses Einkommen unterliegt uneingeschränkt der Progression, während Ehen mit zwei Einkommen die Vorteile der niedrigeren Progression erlangten (Thiede 1999: 29f.).

Anstatt jedoch nur die negative Diskriminierung durch Haushaltsbesteuerung und Zusammenveranlagung zurückzunehmen und Ehegatten individuell zu besteuern, wurde mit dem Steueränderungsgesetz 1958 eine positive Diskriminierung eingeführt – das Ehegattensplitting. Damit wurde insbesondere der steuerlichen Benachteiligung der „Hausfrauenehe“ entgegengewirkt, indem von einer fiktiven Einkommensteilung, welche die realen Einkommensverhältnisse in der Ehe nicht mehr berücksichtigte, ausgegangen wurde. Dies entsprach auch einem Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH), nach welchem es nicht zulässig sei, Ehen mit eigenen Einkünften beider Ehegatten günstiger zu besteuern als Ehen, in denen der Ehemann (sic!) die gesamten Einkünfte bezieht (2).

Das Ehegattensplitting wird nicht nur mit der Nicht-Benachteiligung der Einverdiener-Ehe gegenüber jener mit zwei Einkommen begründet, sondern auch mit dem Schutz der Ehe als Erwerbsgemeinschaft. Die Ehe wird verstanden als Unterhalts- und Erwerbsgemeinschaft, in welcher Ehegatten zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet sind und eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden (3). Hier wirkt sich der Schutz der Ehe nach Art. 6 I GG dahingehend aus, dass die Ehe anderen Erwerbsgemeinschaften – also Personengesellschaften wie z.B. eine GbR – gegenüber nicht schlechtergestellt werden darf. Die Besteuerung solcher Personengemeinschaften erfolgt, indem der Gewinn gleichmäßig allen Beteiligten zugerechnet wird, was die Grundlage der individuellen Besteuerung der einzelnen Mitglieder ist. Für eine Ehe als Erwerbsgemeinschaft gilt dies dann ebenso: Der gemeinsame „Gewinn“ – das Einkommen beider Partner – wird (fiktiv) gleichmäßig auf beide verteilt und als Basis für die jeweilige Besteuerung angenommen.

Die Ende der 1950er Jahre entworfene Regelung fragte nicht danach, ob eventuell Abhängigkeiten geschaffen bzw. unterstützt werden, und ob die Behandlung zweier Menschen als ein gemeinsames Steuersubjekt die individuelle Lebensplanung erschwerend beeinflusst. Zielsetzung der Einkommenssteuerreform von 1958 war das Vermeiden einer steuerlichen Diskriminierung von Eheleuten und damit im Sinne der damaligen Verhältnisse auch von Familien. Da die Erwerbstätigkeit von Frauen weder erwünscht noch besonders üblich war, trug das Ehegattensplitting dem Modell der Einverdienstehe und der wirtschaftlichen Absicherung der Ehefrau über den Gatten Rechnung. Das an den Normen der damaligen Gesellschaftsordnung und den Vorstellungen von einer intakten Durchschnittsehe orientierte Modell konserviert bis heute dieses Ideal der bundesdeutschen 50er-Jahre-Familie. Trotz der Abschaffung des Leitbildes der „Hausfrauenehe“ durch die Eherechtsreform im Jahre 1977 blieb genau dieses Modell steuerrechtlich bestehen: Noch 1982 verteidigte das Bundesverfassungsgericht das Ehegattensplitting mit dem Hinweis, dass zusammenlebende Eheleute eine Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft bildeten, in welcher ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich zur Hälfte teilhätte. Zudem unterstellte das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die „wirtschaftliche Realität der intakten Durchschnittsehe (...), in der ein Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit zwischen den Partnern stattfindet“ (4). Dass die Realität diesem Ideal der „intakten Durchschnittsehe“, in der die Partner Einkünfte und Lasten hälftig teilen, tatsächlich noch entspricht, gilt mittlerweile als äußerst fragwürdig – Prof. Dr. Miriam Beblo betrachtet die Argumentation des Einkommens-Poolings in Haushalten als empirisch nicht haltbar [Präsentation "Geschlechterpolitische Bewertung von Individualbesteuerung", PDF]. Ulrike Spangenberg [2005: "Neuorientierung der Ehebesteuerung", PDF, 14ff.] bemerkt, dass zwar Paare in niedrigen Einkommensgruppen, in denen das Einkommen größtenteils für den Haushaltsbedarf verwendet wird, möglicherweise paritätisch vom Gesamteinkommen profitieren. Ob die Verfügungsmacht über jenen Teil des Einkommens, der über den notwendigen Haushaltsanteil hinausgeht, ebenfalls so aufgeteilt wird, kann nicht bestätigt werden. Anders gesagt: Es ist fraglich, ob die bzw. der geringer verdienende EhepartnerIn bei größeren Anschaffungen, Geldanlagen etc. in gleichem Maße mitentscheiden darf. Da die Annahme des Bundesverfassungsgerichtes auf erhebliche Zweifel, aber keine fundierten Erkenntnisse stößt, mahnt Spangenberg repräsentative Untersuchungen zur Verwendung und Bedeutung von Einkommen an.


(1) Durch den Beschluss des 1. Senats des  BverfG vom 17.01.1957 wurde §26 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 17.01.1952 – EStG von 1951 – wegen Verstoßes gg. Art. 6 GG für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt.
(2) Bundesfinanzhof, Urteil vom 02.04.1957
(3) So z.B. im Urteil des BverfG vom 3.11.1982.
(4) BverfG, Urteil vom 3.11.1982