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34. Green Ladies Lunch: Grüne Geschlechterpolitik mit Jugend & Jungs?

Lesedauer: 7 Minuten
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Rückblick

Grüne Frauen- und Geschlechterpolitik: Neue Mitstreiter_innen bei Jugend & Jungs?

2. Juli 2010

Es bewegt sich – mal wieder – was im feministischen, frauen- und geschlechterpolitischen Diskurs.
Das Ladies Lunch stand vor der Tür, da lieferten Berliner Ereignisse aktuelle Diskussions-Vorlagen:

Im Juni 2010 sorgte Judith Butler für Irritationen mit einem öffentlichen Auftritt in der Volksbühne und erst recht durch ihre Ablehnung des ihr zugedachten Preises beim Berliner Christopher Street Day. Für viele ist aber auch ihr queer-feministisches Politik-Konzept eine Herausforderung, da es über queer-schwul-lesbische oder frauenpolitische Identitätspolitiken hinaus weist und eine Anti-Diskriminierungspolitik postuliert, die untrennbar mit anti-rassistischer Politik verbunden ist. Es schließt alle gesellschaftlichen von Unterdrückung und Gewalt betroffenen diskriminierten Gruppen ein und beinhaltet notwendig politische Einmischung und breite Bündnispolitik, insbesondere auch gegen Militarismus und Krieg.

Diese öffentliche Debatte prägte auch das Ladies Lunch, doch der Reihe nach:

Zwei Manifeste als Gesprächsanlass

Im Frühjahr zogen grüne Männer mit einem Männermanifest die Medienöffentlichkeit auf sich. Darin erteilen sie dem Machismo eine Absage – und machen sich für eine dialogische, gemeinsam weiterzuentwickelnde Geschlechterpolitik stark – gegen anti-feministische Strömungen, die seit einiger Zeit wieder in den Feuilletons der Mainstream-Medien ihr Revival feiern.

Bereits im vergangenen Jahr machte auch die Grünen Jugend u.a. im Rahmen des GWI-Gender Happenings mit einem Manifest von sich reden: Fuck Gender, be yourself! Darin suchten sie sich über die Fragen der Dekonstruktion von Geschlechtern und die politischen Umsetzungsmöglichkeiten zu verständigen.

Wie verhalten sich diese Ansätze zu denen feministischer Frauenpolitik? Wie und wo können daraus wirkliche und konstruktive „Geschlechterdialoge“ entstehen? (Wie) kann daraus eine gemeinsame Geschlechterpolitik werden? Um diese Fragen ging es beim Ladies Lunch. Zum Einstieg zeichneten zwei Beiträge verschiedene Bewegungsgeschichten und queer-feministische Theorieentwicklungen als Ausgangspunkte für zukünftige Geschlechterpolitiken nach.

Diverse Bewegungen und Theorien

Ilse Lenz, Professorin für Geschlechter- und Sozialstrukturforschung und Herausgeberin eines Standardwerks zur neuen Frauenbewegung in Deutschland (2009), legte dar, dass Frauenbewegungen und Feminismen immer im Plural zu betrachten sind. Entsprechend verschieden sind die Ziele, der Bogen reicht von „umfassender Transformation der Gesellschaft“ bis zu integrativen und konservativen Frauenpolitiken. Neben ihrem Bezug auf die Gesellschaft unterscheiden sich Feminismen und Frauenpolitiken auch in ihrem Bezug auf die Kategorie Geschlecht bzw. deren Theoretisierung.

Elahe Haschemi Yekani, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin, erinnerte in ihrem Beitrag daran, dass sich die oft als akademische Kopfgeburt diffamierte Theoretisierung des Queer-Begriffes aus einer politischen Bewegung speist: Im Zuge der Aids-Krise der 1980er Jahre entstand ein Aktivismus, der sexuelle Identitäten übergreifende Bündnisse entwickelte. Es folgte eine Aneignung des verletzenden Begriffs „queer“, bei der es nicht um eine neue Identitätsbildung ging, sondern um eine Interventions-Strategie, das „Queeren“, d.h. etwas seltsam machen. Nicht Integration in eine Mehrheitsgesellschaft, sondern kritische Intervention sei das politische Ziel. Gleichzeitig erkenne auch dieser Aktivismus die Notwendigkeit an, strategischen Gebrauch von Identitäten zu machen, um Rechte zu reklamieren.
Neben diesen Blicken auf feministische Dis/Kontinuitäten gaben beide Beiträge Hinweise auf die Herausforderungen einer zukünftigen (grünen) Geschlechterpolitik.

Ansätze für neue grüne Geschlechterpolitiken

Für die Frage nach Möglichkeiten, (grüne) Geschlechterpolitiken um queere Bündnisse zu erweitern, skizzierte Haschemi Yekani zwei Felder: zum einen verwies sie auf die von Judith Butler aktuell geforderte Notwendigkeit, Homophobie und Rassismus gemeinsam zu bekämpfen anstatt im Zuge eines Homo-Nationalismus Homophobie auf Migrant_innen zu projizieren. Zum anderen stellte sie zu dem auch z.B. im grünen Männermanifest beliebten Bild von „Jungs als Bildungsverlierern“ fest: oft liege ein zu enges Konzept von Männlichkeit zu Grunde; ohne Rückbezug auf feministische Ansätze sei das Problem emanzipatorisch nicht zu klären.

Diesen Rückbezug betonte auch Ilse Lenz: erst die feministischen Perspektiven auf den Konstruktionscharakter von Geschlecht hätten  den Blick für den Konstruktionscharakter von Männlichkeiten eröffnet. Dadurch weiteten sich Fragen von Emanzipation aus, ließen sich neu und anders stellen und waren nicht (mehr) auf ein Geschlecht zu fokussieren. Entsprechend trägt Ilse Lenz´ o.a. Quellensammlung den Untertitel „Abschied vom kleinen Unterschied“, denn sie zeichnet Denkbewegungen von Frauenbewegungen zu Feminismen nach, die sich nicht exklusiv auf ein Geschlecht beziehen. Die Sammlung enthält auch Quellen der Männerbewegung, die sich im Laufe ihrer Entwicklung, laut Lenz, polarisiert hat: auf der einen Seite linke, antirassistische, antikapitalistische queer-feministische Zusammenhänge – auf der anderen Seite konservative bis rechte anti-feministische Männer- und Väterrechtler.

Mit Blick auf die anstehenden Dialoge zwischen grünen Feministinnen und Feministen hob Lenz ausdrücklich die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Dialogpartner_innen hervor, die es mit zu bedenken gebe: Heute träfe eine polarisierte Männerbewegung auf ein ausdifferenziertes „feministisches“ Viereck aus Politiker_innen, Geschlechterforscher_innen, institutionalisierten und autonomen feministischen Akteur_innen.

Que(e)r zu institutionalisierter Politik?

Die Notwendigkeit und das Interesse an grünen Geschlechterdialogen bekräftigte in ihren Kommentierungen Claudia Schlenker, Bundesfrauenreferentin Bündnis 90/Die Grünen. Problematisch sei allerdings, dass gerade Genderpolitik als die modernere Variante von Frauenpolitik verkauft würde und durchaus auch zur Aushöhlung der frauenpolitischen Infrastruktur der Partei genutzt würde. Grüne Feministinnen hätten das Männermanifest  begrüßt und Gesprächsangebote gemacht. Schwierig mache den Dialog jedoch, dass es in der Partei keine institutionalisierte  Form der Männerpolitik  und damit  auch keine in diesem Bereich verbindlich arbeitenden Gesprächspartner gebe. Deutlich wurde in der Debatte, dass die neuen männerpolitischen Ansätze bei den Grünen noch keine eigenständige Männerpolitik darstellen und die Klärung über die institutionelle Verankerung in der Partei noch aussteht.  Nach dem Aufschlag des Manifests würden jetzt mit Spannung konkrete politische Anstöße erwartet, damit fruchtbare Debatten über gemeinsame oder differierende Standpunkte erfolgen könnten.

Im Gegensatz zu den Männermanifest-Unterzeichnern ist die Grüne Jugend institutionalisiert – und verlässliche Mitstreiter_in für Grüne Frauen- und Geschlechterpolitik. Dies betonte Franza Drechsel, bis Mai 2010 Frauen- und Genderpolitische Sprecherin der Grünen Jugend. Ihre solidarische Kritik: ebenso wie die Unterzeichner des Männermanifests stellten auch die grünen Frauen die Zweigeschlechtlichkeit kaum oder gar nicht in Frage. Beispielhaft nannte sie einige politische Projekte, die darüber hinaus gingen und grüne Geschlechterpolitik umfassen sollten: die Einführung eines dritten Geschlechts für alle, die sich weder männlich noch weiblich definieren können oder wollen, das Adoptionsrecht jenseits der Hetero-Ehe, die Entwicklung eines Familienvertragsmodells als Ersatz für die Ehe.

Mit Blick auf mögliche queere Bündnisse lassen sich aber auch diese Projekte evtl. kritisch hinterfragen: zum Beispiel das Adoptionsrecht für Lesben und Schwule könnte auch eine homo-nationalistische und klassenorientierte Ausrichtung haben – weiße, bürgerliche Lesben und Schwule präsentieren sich als bessere Eltern, und setzen angesichts abnehmender Geburtenraten pflichtbewusst Kinder in die Welt. Was, so wäre weiter zu fragen, bedeuten queere Politiken, die nicht auf Familie und Personenstand zielen, sondern in andere Politikfelder?

Grundsätzlich in Frage stellte Halina Bendkowski, Mit-Begründerin des Konzepts der Geschlechterdemokratie in der hbs, die politische Bedeutung queerer Ansätze. Sie sparte in ihrem polemischen Kommentar nicht mit Kritik an Judith Butler. Für sie seien von Butler angestoßene Debatten eher öffentlichkeitswirksame Modedebatte privilegierter Gruppen, entstanden aus dem Bedürfnis heraus, sich wichtig zu machen. [» Beitrag von Halina Bendkowski]

Offensichtlich bezog sie sich hier auf Butlers „Unbehagen der Geschlechter“: Dieser queertheoretischer Grundstein ist bereits seit 20 Jahren immer wieder Anlass für heftige Debatten um die Frage nach dem Konstruktionscharakter von Geschlecht.

Doch weder ist die Kritik am Zweigeschlechtersystem, das auch gewaltvoll durchgesetzt wird, ein Modethema, sondern für manche eine Frage von Leben und Tod, noch geht es in Judith Butlers weiter entwickelten – intersektionalen – Ansätzen um Probleme priviligierter Gruppen, sondern – im Gegenteil – um die Opfer von Krieg und den Kampf gegen Rassismus.

In der Debatte gerieten so nicht nur die anvisierten Dialogpartner des Männermanifests kurzzeitig aus dem Blick, sondern auch mögliche gemeinsame feministische Ausgangslagen. Doch wurde so auch deutlich: auch inner-feministischen Debatten bedürfen weiterer Auseinandersetzung über die Bedeutung queerer Politiken.

Ein Ausblick

Ilse Lenz sowie Silvia Kontos, Soziologie-Professorin aus Wiesbaden, kamen schließlich auf die Frage nach einer zukunftsfähigen grünen Geschlechterpolitik zurück. Ihre Empfehlung: Grüne Frauenpolitikerinnen könnten für eine gemeinsame Bearbeitung anstehende feministische Projekte alle geschlechterpolitisch Interessierten einladen. Grundsätzlich sollte es nicht um die Frage gehen, ob und wie Frauen und Männer (und andere Geschlechter) zusammenarbeiten, sondern darum,
feministische Ziele mit geschlechterpolitisch Interessierten an konkreten Projekten umzusetzen.
 
Gemeinsame projektbezogener Arbeit im politischen Alltag auf der einen Seite also.
Auf der anderen Seite der queer-feministisch (selbst)kritische Blick und entsprechende politische Visionen – und die Frage: Wie oft traut sich (Geschlechter)Politik, die Mehrheiten für ihre Projekte erreichen und/oder schaffen will, que(e)r zu denken? 


Es referierten:

  • Prof. Dr. Ilse Lenz, Ruhr-Universität Bochum
  • Dr. des. Elahe Haschemi Yekani, Humboldt-Universität zu Berlin
    Thesenpapier zum Input "Herausforderungen queerer Bündnisse" [» PDF]

Die Debatte eröffneten:

  • Claudia Schlenker, Bundesfrauenreferentin Bündnis 90/Die Grünen
  • Halina Bendkowski, Agentin für Feminismus & Geschlechterdemokratie
    Beitrag als [» PDF]
    Nachtrag als [» PDF
  • Franza Drechsel, ehm. Frauen- und Genderpolitische Sprecherin Grüne Jugend
    Thesenpapier als [» PDF]

Moderation: Gülay Çağlar, Humboldt-Universität zu Berlin