Rückblick
Die feministischen Seiten von 20ELF
Team-Aufstellung & Spieltaktik für die Fußball-WM der Frauen 2011
12. November 2010
„Die schönsten Seiten von 20ELF!“, lautet das DFB-Motto für die Fußball-WM 2011. Das Green Ladies Lunch des Gunda-Werner-Instituts vom 12.11.2010 zitierte das Motto, um das Ereignis 20ELF feministisch zu analysieren.
Fußball oder Frauenfußball?
Der erste Input kam direkt vom Spielfeldrand von der ehemaligen Bundesligaspielerin, Europameisterin und Vize-Weltmeisterin Anouschka Bernhard. Sie galt während ihrer aktiven Zeit als „extrem talentiert und extrem faul“ (O-Ton), was als ein Hinweis auf den Grad der Professionalisierung Mitte der 1990er zu verstehen sei: mit nur drei Trainingseinheiten pro Woche wurde frau damals Weltmeisterin. „2011 leisten Nationalspielerinnen sieben Trainingseinheiten pro Woche“.
Heute ist Anouschka Bernhard Fußballtrainerin, „ein weiblicher Joachim Löw“, d.h. sie hat die gleiche Lizenz wie der Trainer des Männer-Nationalteams und trainiert derzeit den männlichen Nachwuchs von Hertha BSC. Mädchen und Frauen spielen bei Hertha, wie bei vielen anderen Männer-Bundesligisten, nicht, „nur vier Männer-Fußball-Bundesligisten haben Frauen-Bundesliga-Teams“. Daraus zog sie den Schluss: Erfolgreiche Fußballabteilungen für Frauen konnten sich eher in Vereinen etablieren, in denen Fußball nicht Männer-Domäne ist und Frauen in der Vereinshierarchie unten rangieren.
Feministischen Widerspruch erntete sie allerdings, als sie – mit dem Gewicht der Empirie – feststellte, Mädchen und Jungs würden unterschiedlich spielen. Während Jungs egoistisch den Ball beanspruchten und selbst aufs Tor schießen wollten, seien Mädchen kommunikativ, „der Erfolg des Teams steht im Vordergrund“. Mit zunehmendem Alter würden aber die von ihr festgestellten Geschlechterunterschiede verschwinden und einer – geschlechtsübergreifenden – professionellen Erfolgsorientierung Platz machen.
Letztendlich lassen sich Bernhards Beobachtungen auch feministisch interpretieren: das, was Mädchen und Jungs im Zuge ihrer Professionalisierung verlernen, ist zuvor gelerntes geschlechtskonformes Verhalten. Und: In der Wahrnehmung geschlechtstypischer Spielweisen sind schon immer die Geschlechterbilder im Fußball wirkmächtig.
Geschlechternormen que(e)rdenken
Diesen Ball griff Tatjana Eggeling, Kulturwissenschaftlerin und Beraterin im Netzwerk Fußball gegen Homophobie, im zweiten Input auf. Sie legte dar, welche Typen den Standard im Fußball setzen. In Deutschland wirkten im Fußballsport Bilder von Männlichkeit, Härte und Kameradschaft. Ein Fußballspieler ist Leitbild echter Männlichkeit mit einem starken Männerkörper. Wenn Frauen sich diesen männlich codierten Sport aneignen, stehen sie unter dem Druck, als symbolischen Ausgleich möglichst viel Weiblichkeit zur Schau zu stellen.
Dieses Thema wurde in der Debatten-Runde auf verschieden Weise fortgeführt. So verwies Eva Boesenberg, Professorin für Amerikanistik an der Humboldt-Universität Berlin, auf die USA, wo Fußball als Frauensport gilt. Mit Blick auf verschiedene Sportkulturen werde auch die geschlechtliche Codierung des Fußballs in Europa als Konstruktion sichtbar. Sprich: Das, was jeweils als weiblich oder männlich gilt und im jeweiligen Sport dargestellt bzw. verkörpert wird, wird gerade auch in diesem hergestellt.
Politischer Kaffeklatsch
Podiumsteilnehmerin des Ladies Lunch war auch Hannelore Ratzeburg, DFB-Vizepräsidentin und Fußballpionierin. Seit der DFB die Organisierung von Frauen in seinen Reihen vor 40 Jahren erlaubte, ist Hannelore Ratzeburg eine zentrale Figur des deutschen Frauenfußballs. Das macht sie auch zur ersten Ansprechpartnerin für den Bereich: Im Magazin 11 freundinnen hat sie in jeder Ausgabe das letzte Wort, eine eigene Interview-Rubrik mit dem Titel „Kaffeeklatsch mit Hannelore“.
Passend dazu gewährte sie beim Ladies Lunch – neben vielen Einblicken in ihre Arbeit und die Entwicklung des Frauenfußballs – auch eine neue Sicht auf das vielzitierte und kritisierte Kaffeservice, das der DFB seinen Europameisterinnen 1989 stolz überreichte. Dies dürfe nicht als Missachtung des Frauenfußballs missdeutet werden, sondern verweise auf den Amateur-Status, in dem kein Geld fließen durfte. Tatsächlich war der Porzellanhersteller zu dieser Zeit Sponsor des Männer-Teams (!) und konnte deshalb das Service für die Frauen über Nacht beisteuern.
Claudia Roth schließlich, nicht nur Schirmherrin des Ladies Lunch, sondern auch in der DFB-Kulturstiftung für Fußball engagiert, strich die gesellschaftliche Bedeutung des Frauenfußballs hervor. Sie sieht nicht zuletzt in der Kooperation der DFB-Kulturstiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung für die gemeinsame Tour „Gegnerinnen-Aufklärung“ ein Zeichen, dass der DFB offen für Themen wie Geschlechterdemokratie ist.
Sie regte zur Debatte über das Verhältnis von Sport und Politik an: Was könnten oder sollten politische Botschaften des Frauenfußballs und der WM 20ELF sein? Strittig dabei war, inwiefern Fußball von Politik (zu sehr) vereinnahmt werde. Diese Frage müsse sich nicht zuletzt die Heinrich-Böll-Stiftung stellen, wenn sie, wie andere Organisationen auch, die WM 2011 nutzt, um Geschlechterdemokratie zum Thema zu machen.
Mit Blick auf verschiedene feministische Aktionen rund um die WM wurde auch Kritik an rassistischen Perspektiven artikuliert: Entdecken weiße Feminist_innen das Thema Frauenfußball, um über ihre Vorstellungen von Integration und Multikulti zu sprechen? Die Frage steht im Raum – und sollte weiter erörtert werden, gerade auch mit Stimmen, die auf dem Podium diese Mal nicht vertreten waren.
Fußball macht Politik
Während sich Frauenfußball-Fans und -Akteurinnen „erstmal auf die WM im eigenen Land freuen“, braucht es dennoch oder gerade deshalb begleitende politische Fragen – getragen von der Einsicht, dass Sport und Politik nicht getrennte Bereiche sind, denn Sport macht Politik.
Zur Vorfreude auf die WM gehört auch die Frage, wie nachhaltig die Aufmerksamkeit ist, die die WM für Frauenfußball generiert. Spätestens zurück im Liga-Alltag ist auch in Zukunft politische Unterstützung für Mädchen und Frauen im Fußball gefragt. Ein praktisches Beispiel aus der Debattenrunde für die Umsetzung von Geschlechterdemokratie kam dazu aus der Berliner Verwaltung: In einem Berliner Bezirk soll in Zukunft ein Gender Budgeting bei Trainingsplätzen den Zugang zum Fußball für Mädchen erweitern.
Auf symbolischer Ebene gibt es mit 20ELF womöglich feministisch etwas zu gewinnen – das legen zumindest Reaktionen auf dem 11-freunde-Blog nach Erscheinen der ersten 11-freundinnen-Beilage 2009 nahe. Frauenfußball erwies sich als Herausforderung hegemonialer (Fußball)Männlichkeit, entsprechend sexistisch waren wohl einige Blog-Beiträge, die taz sprach vom „Online-Leserstammtisch“.
Dass ein feministischer Traum aber einmal aus einem „Sommermärchen reloaded“ bestehen sollte – dafür haben „wir“ eigentlich nicht gekämpft, oder?
Gesprächsrunde und anschließender Umtrunk mit:
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Dr. Tatjana Eggeling, Kulturwissenschaftlerin
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Anouschka Bernhard, Hertha BSC (Siehe auch: Anouschka Bernhard im Interview mit Ulrike Hellwerth vom Deutschen Frauenrat - Wir können uns nicht vor jeden Karren spannen lassen, PDF)
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Hannelore Ratzeburg, DFB-Vizepräsidentin
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Claudia Roth, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
Anmeldung nur nach Einladung: gwi@boell.de
Sämtliche Bilder wurden von Andrea Kroth gemacht und sind lizenziert unter eine Creative-Commons-Lizenz: BY-NC-ND-SA (Namensnennung-Nicht Kommerziell-Keine Bearbeitung).
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