Frauenkörper als Schlachtfeld militarisierter Männlichkeit
Nach einem von der serbischen Bevölkerung boykottierten Referendum erklärt Bosnien-Herzegowina, ehemals Teilrepublik des "multiethnischen" Staates Jugoslawien, 1992 seine Unabhängigkeit. Truppen der jugoslawischen Bundesarmee marschieren in Bosnien ein. Ein schwelender Konflikt wird zu einem Krieg, in dem nach Schätzungen 100.000 Menschen ihr Leben verlieren, zwischen 25.000 und 50.000 Frauen vergewaltigt werden und der die Region in einem verwüsteten Zustand hinterlässt.
Besonders die flächendeckende und systematische Anwendung sexualisierter Gewalt aller Kriegsparteien erregt viel Aufmerksamkeit in den internationalen Medien. Es regt sich gesellschaftlich breit getragener Widerstand gegenüber diesen "Unmenschlichkeiten" und sexualisierte Gewalt wird ein heiß diskutiertes Thema.
Krieg bedeutet immer eine Um-/Neudefinierung geltender Verhaltensnormierungen für die betroffenen Gesellschaften: Gewalt wird zum akzeptierten Ausdruck von Interessenskonflikten, Mord und Totschlag werden legitimiert und der Verlust des eigenen Lebens zur Heldentat umfunktioniert. Aber welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang Sexualität? Wieso wird Gewalt sexualisiert? Und was hat das mit patriarchalen Denkmustern zu tun?
Bereits vor Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien wird durch nationalistische Rhetorik die Aufgabe der Frau für die Nation neu bestimmt und ihre Bewegungsfreiheit damit eingeschränkt: "Die eigene Frau" ist fortan definiert als Mutter, Vehikel eines eskalierenden Gebärdogmas aller Seiten, "die Frauen der anderen" werden immer mehr zu Projektionsfläche sexistischer Stereotypisierung und Herabwürdigung. Damit ist ein Grundstein gelegt für die Eskalation sexualisierter Gewalt während des Krieges selbst.
Massenvergewaltigungen, erzwungene Nacktheit und Zwangsprostitution wurden lange Zeit als unverhinderbare Nebenerscheinungen von militärischen Konflikten verstanden. Sie waren unkontrollierbare Auswüchse soldatischer Virilität nach der Schlacht und im Kriegsgebiet, hatten allerdings nichts mit dem Kriegsgeschehen selber zu tun. Erst durch eine feministische Auseinandersetzung mit dem Thema wurden sie als bewusste und erklärbare Phänomene in Kriegs- und Militärstrukturen erkennbar gemacht und in einen Kontext mit patriarchalen Machtverhältnissen gesetzt. Besonders zu erwähnen ist hier das umstrittene Buch "Against Our Will: Men, Women, and Rape" von der US-amerikanischen Autorin Susan Brownmiller von 1975.
Die Anwendung sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe in Konflikten ist darin Ausdruck tiefverwurzelter patriarchaler Sexualitätsvorstellungen, in denen Frauen keine eigenständige Sexualität zugestanden wird und sie so zu bloßen "Gefäßen" eines männlichen Sexualitäts- und Fortpflanzungstriebs degradiert werden. Sexualisierte Gewalt wirkt dabei nicht nur gegen die direkt betroffenen Frauen – sie ist eine Waffe, die den Männern der anderen Seite vorführt, dass sie nicht in der Lage sind, "ihre Frauen" zu beschützen.
Auf dieser Grundlage wird sexualisierte Gewalt gerade in "hochethnisierten" Konflikten noch wirkmächtiger und destruktiver, weil die Folgen für die (hauptsächlich weiblichen) Opfer – gerade nach einer Schwängerung – extrem weitreichend sind und in den meisten Fällen ihre gesamte soziale Basis zerstören.
Die Anwendung sexualisierter Gewalt hat allerdings nicht nur eine Genderdimension, sondern bezieht sich auf ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren wie "Ethnizität", Religion, Nationalität der Opfer und Täter(Innen). Dementsprechend gehen Verbrechen wie Massenvergewaltigungen sehr häufig mit "ethnischen" Säuberungen und Völkermord einher.
In den Balkankonflikten kamen alle diese Dimensionen zum Tragen und Frauenkörper wurden so zum Schlachtfeld der Kriegsparteien. Inzwischen haben die UN sexualisierte Gewalt klar als Kriegsverbrechen definiert und mit den Resolutionen 1325 und 1820 des UN-Sicherheitsrats eine stärkere Einbindung von Frauen in alle sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen gefordert. Die Umsetzung geht allerdings bis heute nur schleppend voran.
Die EU muss in der Bekämpfung sexualisierter Gewalt – auch in Krisensituationen – eine stärkere Rolle einnehmen. Gerade in den Staaten des Westbalkans, die durch den massiven Einsatz sexualisierter Gewalt während der Jugoslawienkriege gezeichnet worden sind, sollten Fragen wie die Einbindung von Frauen sowohl in politische Prozesse zentrale Ziele sein.
Denn langfristig kann Gewalt gegen Frauen nur verhindert werden, wenn Frauen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und allen anderen gesellschaftlichen Bereichen gleichberechtigt repräsentiert sind.
Die Überschrift: "We have orders from our officer to rape you." stammt aus Dorothy Q. Thomas, Regan E. Ralph, "Rape in War: The Case of Bosnia", 1999, University Park, PA, Seite 205