Hate Speech, Hasskommentare, die Verrohung der Gesellschaft, Gewalt im Internet. All das ist an der Tagesordnung. Und was macht der Staat? Nichts. Zumindest bisher. Es besteht Handlungsbedarf. Dringend.
Hate Speech, Hasskommentare, die Verrohung der Gesellschaft, Gewalt im Internet. All das ist an der Tagesordnung. Und was macht der Staat? Nichts. Zumindest bisher. Jetzt aber haben sich die Männer* der Sache angenommen. Jetzt wird festgestellt, dass gewaltvolle Kommunikation im Internet Grenzen aufgezeigt werden müssen. Wenn Kommunalpolitiker*innen oder andere Mandatsträger*innen zunehmend betroffen sind, besteht Handlungsbedarf. Dringend.
Woher ich das weiß? Ich habe Radio gehört. Genauer gesagt Deutschlandfunk, die Sendung „Zwischen Engagement und Entfremdung“ aus der Reihe „Zur Diskussion“. Da unterhielten sich Männer unter sich. Gerd Landsberg (Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes), Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung) und Ruprecht Polenz (CDU-Politiker) sprachen über die Verrohrung im politischen Diskurs und die empörende Veralltäglichung von hate speech und Digitaler Gewalt gegenüber Amtsträger*innen.
Digitale Gewalt, die Frauen*, People of Color und LGBTIQ nicht aufgrund von Amt und Würden, sondern ihres Geschlechts, ihrer Sexualität und Herkunft zu spüren bekommen, wird mit dieser Empörung entnannt. Das wiederum empört mich.
Praktisch mit Beginn der kommerziellen Nutzung des Internets in den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts sind es sogenannte Trolle, die es sich zur Aufgabe und teilweise zum Lebensinhalt gemacht haben, Menschen mit kommunikativer Gewalt, hate speech, aus dem Netz zu vertreiben oder ihnen das Leben insgesamt schwer zu machen. Vergeschlechtlichtes und rassifiziertes Cyberbullying und Cybermobbing sind ebenfalls Begriffe, die einem dabei in den Sinn kommen.
Unterlassene Hilfeleistung
„Sprechen, Denken und Handeln hängen zusammen“, sagte Ruprecht Polenz im Verlauf der Sendung. Stimmt. Es gibt genügend Fälle in denen dem Aussprechen und Androhen zum Beispiel sexualisierter Gewalt auch Taten folgten (hier, hier, hier oder hier). Und es gibt genügend Fälle, in denen Selbstmord die Folge von sexistischem und rassistischem online-harassment waren (hier, hier, hier, hier oder hier). Das seinerseits nicht auszusprechen, verdeutlicht ebenso eine Form des Handelns: die der unterlassenen Hilfeleistung.
„Ein Staat muss auch Grenzen aufzeigen“, legte Gerd Landsberg nach. Er bezog das auf die (digitalen) Angriffe auf Kommunalpolitiker*innen im Rahmen ihrer Arbeit. Nicht wenige Feminist*innen fordern schon länger, dass der (Rechts-)Staat Grenzen bei Digitaler Gewalt aufzeigt. Passiert ist bisher nichts. Es sind ja nur ein paar Frauen* und andere ‚Minderheiten’, die den rauen Umgangston im Netz nicht aushalten.
Selbstregulierung der Community war auch ein Thema. Thomas Krüger berichtet von Trollen, die sich hin und wieder auf die Facebook-Seite der Bundeszentrale „verirren“. Die beste Lösung für die Verirrten sei die Vertreibung durch aktive Mitglieder der Community, die sich mit den trollig vorgebrachten „Argumenten“ auseinandersetzten. Eine Art „Selbstreinigung“. Schön zu hören, dass es sich um Argumente handeln soll. Was aber, wenn es darum geht, sich auf Kaskaden sexistischer, rassistischer, homo- und/oder transphober Beleidigungen oder Gewaltdrohungen selbstregulierend zu beziehen? Drohungen, die mit Argumenten rein gar nichts mehr zu tun haben.
Die Crux bei der Selbstregulierung
Und trotzdem: Auch hier zeigen Feminist*innen schon länger auf, dass Selbstregulierung ein Teil der Strategie sein muss. Referiert wird dies nicht. Counterspeech war zwar vor nicht allzu langer Zeit in aller Munde, aber nur weil Herr Minister Heiko Maaß mit der größtmöglichen Verallgemeinerung bekundete, jede*r wäre auf gleiche Weise ein potenzielles Opfer, etwas tun zu wollen. In der Folge hat Facebook, weil am stärksten in der Kritik, ein Millionenschweres Projekt aufgesetzt, was die Zivilcourage stärken soll. In welcher Weise diese unternehmerisch lancierte Form von Counterspeech von Fragen der Selbstregulierung beziehungsweise feministischer Selbstorganisation informiert ist, bleibt offen.
Nicht nur, dass eine feministische Stimme, die auf die sexistischen, rassistischen, homo-, transphoben Strukturen hätte hinweisen können, der Sendung gut getan hätte. Mehr Struktur- und Herrschaftskritik an sich wäre wünschenswert gewesen. Dazu gehört auch kritisch zu hinterfragen, wessen Verletzbarkeit zählt beziehungsweise wie Verletzbarkeit hierarchisiert wird. Weil Gewalt sagbar ist. Ja. Aber Gewalt muss in ihren jeweiligen Kontexten und Herstellungsweisen benannt werden.