Stürmische Zeiten? Ja – und mittendrin ein salonfähig gewordener Antifeminismus als verbindendes Element zwischen (national)konservativen, rechtspopulistischen bis hin zu rechtsextremen Einstellungen und Politiken in Deutschland und europaweit. „Gender-Ideologie“ und damit verbundene „Frühsexualisierung“ zerstöre das Wertefundament unserer Gesellschaft heißt es. Vom „Gender-Wahn“ ist die Rede und von omnipotenten Feministinnen, die die Gesellschaft umerziehen wollen. Geschlechterforschung wird als „Genderterror“, und als „pseudowissenschaftlich“ diskreditiert. Die EU-Gleichstellungsstrategie Gender Mainstreaming soll abgeschafft werden. Und überhaupt – die „Entmännlichung der Gesellschaft“ und „der Staatsfeminismus“ müssen gestoppt werden.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Diffamierungen gleichstellungspolitischer und emanzipatorischer Erfolge der letzten Jahrzehnte.
Was macht den Antifeminismus so attraktiv?
Geschlechterverhältnisse und Sexualität sind seit Längerem Kampfplatz aufgeladener Debatten. Sie sind nicht auf Deutschland beschränkt, auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Holland, Polen oder Ungarn feiern rechte Parteien und antiemanzipatorische Gruppierungen beachtliche Erfolge. Sie sind gut miteinander vernetzt und unterstützen sich gegenseitig, z.B. bei Kampagnen gegen liberale Abtreibungspolitik oder Gleichstellungbestrebungen für LGBTI-Personen im europäischen Parlament[1].
Die Ablehnung von emanzipatorischen Errungenschaften ist aber auch ein globales Phänomen und zeigt einmal mehr, wie sehr Körper, Sexualität und Geschlechterrollen die Arenen für patriarchale Dominanz, gesellschaftliche Normierung und wieder mehr denn je rechter und völkischer Ideologien und religiöser Fundamentalismen sind.
Rechtspopulisten wie die AfD, Gruppierungen wie die ‚Initiative Familienschutz‘, die ‚Besorgten Eltern‘ oder die ‚Demo für alle‘, mit personellen Verbindungen bis in die CDU hinein, mobilisieren auf allen Ebenen für die Rettung der ‚natürlichen Ordnung‘. Wir erleben in Deutschland eine neue Aggressivität und der so genannte „Anti-Genderismus“ wird mit völkischen, speziell bevölkerungspolitischen Argumenten verbunden. Die AfD bekennt sich zur „traditionellen“ – sprich heterosexuellen – Vater-Mutter-Kind-Familie als Leitbild, will die Geburtenrate „unter deutschstämmigen Frauen“ erhöhen und „naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern“ wieder ins Zentrum rücken. Zum traditionellen Familienbild passend wird Abtreibung gänzlich abgelehnt, denn soweit kann das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nun doch nicht gehen. „Unsere Kinder“ sollen geschützt werden gegen „Frühsexualisierung“, die in der Schule befördert werde, da dort „sexuelle Vielfalt“ und „Homosexualität“ propagiert würden. [2]
Geschickt greifen Rechtspopulisten und rechtsextreme Akteure für ihre Propaganda dabei Vorurteile und Unbehagen auf, wie sie auch in konservativen Kreisen der gesellschaftlichen Mitte zu finden sind (siehe Kampagne gegen sexuelle Früherziehung in Baden-Württemberg und anderswo). Verpackt wird die Ablehnung pluraler Familien- und Lebensformen mit anschlussfähigen, aber umgedeuteten Begriffen wie der Forderung, dass „Gleichberechtigung wieder Chancengleichheit bedeuten“[3] muss. Sie ziehen gegen vermeintlich muslimische Männer zu Felde, die „unsere Frauen“ sexuell bedrohen und daher abgeschoben gehören, während gleichzeitig sexualisierte Gewalt von Männern in der deutschen Gesellschaft ignoriert wird.
Antifeminismus ist nichts Neues, mag man einwenden. Und zu viel Aufmerksamkeit werte diese Gruppierungen nur auf. Das war vielleicht eine tragfähige Position, als es nur um ein paar hundert sogenannte Maskulisten und Väterrechtler ging, die ihre kruden Thesen von Männerdiskriminierung und Staatsfeminismus vorwiegend im Internet verbreiteten und noch wenig Einfluss auf den politischen Mainstream hatten. Aber das sieht heute ganz anders aus.
Die u. a. in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung im Juni herausgegebene neue Leipziger Studie „Die enthemmte Mitte“[4] zeigt deutlich, dass rechtsextremes Denken kein Randproblem mehr, sondern eines der Mitte der Gesellschaft ist. Die Zustimmungsraten zu rechtsextremen Aussagen sind im Vergleich zu 2014 zwar weitgehend gleichgeblieben. Zugenommen hat aber die Abwertung bestimmter Gruppen, nämlich von Muslimen, Sinti, Roma, Asylbewerbern und Homosexuellen. Gleichzeitig wachsen die Zahlen derer, die eine antidemokratische, autoritäre Politik befürworten und die bereit sind, Gewalt einzusetzen.[5] Noch erschreckender ist, dass etwa die Hälfte der Befragten die Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft und im Beruf leugnet oder nicht zur Kenntnis nimmt („moderner Sexismus“) und immerhin über 20 % der Befragten Frauen zurück an Heim und Herd schicken wollen (traditioneller Sexismus).[6] Wichtig ist, dass sich solche Einstellungen nicht exklusiv in rechtsextremen Gruppierungen und Parteien finden lassen, sondern – mit unterschiedlichen Ausprägungen – in allen Parteien, Altersgruppen, Bildungsniveaus und Erwerbsstatusgruppen. Es zeigt sich, dass neben ausländerfeindlichen Positionen die Angst vor so genannter „Gender-Ideologie“ als „Scharnier“[7] bzw. „Kitt“[8] zwischen der gesellschaftlichen Mitte, unterschiedlichen (partei)politischen Spektren und dem rechten Rand fungiert.
So anfällig Teile der Mitte für antifeministische Ressentiments und rechtsextremes Denken sind, so wichtig ist die Mitte aber auch im Kampf gegen Angriffe auf emanzipatorische Errungenschaften. Positiv stimmt, dass laut der Studie die demokratischen Milieus deutlich angewachsen sind und rund 60 % der Bevölkerung ausmachen.[9]
Der „männerzentrierte Antifeminismus“ hat sich also seit etwa 2010 verschoben hin zu einem „familienzentrierten Antifeminismus, oder genauer: zu einem Vater-Mutter-Kind-zentrierten Antifeminismus.“[10] Im Zentrum steht die bürgerliche heteronormative Kleinfamilie als „Keimzelle der Nation“[11], die gegen eine Unterdrückung durch Minderheiten verteidigt werden muss. „Das Angst-Szenario ‚Geschlechterkampf‘ wird vom Angst-Szenario Umerziehung & Sexualisierung abgelöst.“[12] Und als Opfer fungiert – emotionalisierend und anschlussfähig an andere politische Milieus – das Kind. Dahinter steht eine auf spezifische Weise rassistisch, nationalistisch, klassistisch, sexistisch und homophob aufgeladene Familien-Norm, der wieder Geltung verschafft werden soll.
Wie schon in den letzten Landtagswahlkämpfen zu beobachten war, werden in den kommenden Wahlkämpfen neben migrationspolitischen Positionen vor allem familien- und geschlechterpolitische Themen die Gemüter erhitzen. Statt aber die Werte einer offenen und liberalen Gesellschaft offensiv zu verteidigen, reagieren Teile der etablierten Parteien darauf mit Annäherung an (neu-)rechte und antiliberale Positionen. Auch Teile der grünen Wähler_innen sind empfänglich dafür[13].
Was tun?
Antworten auf diese Fragen lassen sich leichter geben, wenn man zum einen auf die Faktoren schaut, die zu der Entwicklung dieses familienzentrierten Antifeminismus beigetragen haben und zum anderen die Politisierungs- und Argumentationsstrategien von antifeministischen Akteur_innen betrachtet.
Politisiert wird, indem skandalisiert, dramatisiert, personalisiert und emotionalisiert wird. Mobilisiert wird über Affekte (Angst, Bedrohung, Verlust). Wichtige Argumentationsmuster sind, die Ehe als Abstammungsgemeinschaft zu begründen (Naturalisierung des Sozialen), sexuelle Vielfalt als Bedrohung von außen zu stigmatisieren und Kinder als Opfer zu stilisieren, die zu schützen sind.[14]
Der Online-Journalismus ist diesen Argumentationsmustern sehr förderlich. Zuspitzung und Aufreger-Themen bringen hohe Klickzahlen. Antifeministische Artikel und Hetze haben es dadurch nach ganz oben in der Aufmerksamkeitsskala geschafft.
Geschlechterverhältnisse werden zum letzten symbolischen Rückzugsort des Konservatismus. Denn sie rühren auf besondere Art an Identitäten und Emotionen, fungieren als Gegenentwurf zur herrschenden „Alternativlosigkeit“ in der Politik und sind auf verschiedenen Ebenen auch an rassistische Logiken anschlussfähig. [15] Zudem hat die damalige Bundesregierung Angriffe auf die Strategie Gender Mainstreaming unwidersprochen hingenommen und damit den Antifeminist_innen eine Steilvorlage geboten, diese Strategie als „Genderismus“ zu diskreditieren und als Angstfantasie zu nutzen.
Erfolgversprechende Strategien gegen Antifeminismus müssen daher auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Wer den Rechtspopulisten nicht das Feld überlassen will, muss z. B. aufklären und informieren. Nötig für Multiplikator_innen sind Argumentationshilfen, die auf Verständlichkeit und Differenzierung setzen und einen größeren Kontext herstellen. Fachbegriffe und Konzepte wie Gender und Gender Mainstreaming bleiben unverstanden, wenn sie nicht an die Lebenswelten und Erfahrungen der Zielgruppen anschließen. Emanzipative und feministische Errungenschaften der offenen und liberalen Gesellschaft sollten offensiver dargestellt, diskutierte Begriffe wieder mit eigenen Inhalten gefüllt und dabei eine Balance zwischen Komplexität und Vermittelbarkeit gefunden werden.
Ein anderes Feld ist die Förderung von Medienkompetenz. Nicht nur von Angriffen Betroffene sollten die technischen, rechtlichen und rhetorischen Möglichkeiten zum Umgang mit Hassreden und (sexualisierter) Gewaltandrohung im Netz lernen. Angriffe müssen ernst genommen und dürfen nicht schleichend normalisiert werden.
Politische Gegenströmungen und Gruppen agieren oft nebeneinander her in ihren jeweiligen Themenschwerpunkten und ideologischen Gräben. Neue und bestehende Bündnisse sollten genutzt werden, um sich auf die antiliberale und antidemokratische Bedrohung zu konzentrieren. So könnte z.B. fachübergreifend offen Solidarität zwischen betroffenen und nicht betroffenen Wissenschaftler_innen gezeigt oder Dialoge zwischen Politik und Wissenschaft angeregt werden.
Insbesondere die demokratischen Parteien müssen einer breit angelegten emanzipatorischen und feministischen Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik wieder mehr Geltung verschaffen und sie offensiv vertreten. Denn Antifeminismus ist kein Kinderspiel. Es ist wichtig den Kampf gegen Antifeminismus jetzt zu führen und nicht als Nebenschauplatz der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus auf später zu verschieben. Denn wie gesagt, er hat das Potential über ideologische Grenzen hinweg, die „Mitte“ mit dem rechten Rand zu verbinden.
[1] Vgl. u.a. Andreas Kemper (2014): Keimzelle der Nation – Teil 2. Wie sich in Europa Parteien und Bewegungen für konservative Familienwerte, gegen Toleranz und Vielfalt und gegen eine progressive Geschlechterpolitik radikalisieren. Hrsg. Friedrich Ebert Stiftung, Berlin, library.fes.de/pdf-files/dialog/11163.pdf.
Lunacek-Bericht zur Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung, 2013. http://www.katholisches.info/2014/02/04/lunacek-bericht-angenommen-euro…
Carsten Hübner 2008: Rechtsextreme Netzwerke und Parteien in Europa – eine Bestandsaufnahme vor der Europawahl 2009, https://eurorex.wordpress.com/studien-broschuren/2008-rechtsextreme-net…
[2] Zitate aus dem Wahlprogramm der AfD: https://www.alternativefuer.de/wp-content/uploads/sites/7/2016/05/2016-…
[3] ebd.
[4] Oliver Decker u. a.(Hg) (2016): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland; Psychosozial Verlag, Gießen.
[5] Ebd. S. 49 ff.
[6] Ebd. S. 58.
[7] Alice Blum 13.06.2016: Antifeminismus als verbindendes Element zwischen extrem rechten, rechtspopulistischen und konservativen Parteien in Deutschland sowie dem reaktionären Mob. www.feministisches-institut.de/antifeminismus-in-bewegung (Abfrage vom 24.6.2016).
[8] Juliane Lang: Familienpopulismus und Antifeminismus als Kitt zwischen extremer Rechter und ‚Mitte der Gesellschaft‘, Vortrag auf dem Kongress "Respekt statt Ressentiment" von LSVD und Amadeu Antonio Stiftung, 10. Juni 2015, Berlin, https://www.lsvd.de/fileadmin/pics/Bilder/Veranstaltungen/Kongress/PDF_…
[9] Oliver Decker u.a.(Hg), Die enthemmte Mitte, S. 104.
[10] Sebastian Scheele (2016): Von Antifeminismus zu ‚Anti-Genderismus‘? Eine diskursive Verschiebung und ihre Hintergründe, Vortrag auf der Tagung „Gegner*innenaufklärung“ am 31.5.2016 in der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, S. 7 f.
[11] Andreas Kemper (2014): Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD – eine Expertise, Hrsg. durch Friedrich Ebert Stiftung, Berlin.
[12] Sebastian Scheele (2016), ebd, S.8.
[13] Oliver Decker u.a.(Hg), Die enthemmte Mitte, S. 121 ff.
[14] Ausführlich dazu Imke Schmincke (2016): ‚Besorgte Eltern‘ und ‚Demo für alle‘ – das Kind als Chiffre politischer Auseinandersetzungen, Vortrag am 31.5.2016 auf der Tagung „Gegner*innenaufklärung“.
[15] Ausführlich dazu Scheele (2016) ebd., S.15 ff.