Frauen haben bekanntlich seit frühester Zeit individuell für ihre Rechte gekämpft. Die Forderungen nach gleichen Rechten im öffentlichen Raum wurde mit der „ersten Welle” der feministischen Bewegung laut, also gegen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts. Weil die Nationalstaaten „Gleichberechtigung aller Staatsbürger“ versprachen, begannen die Frauen, laut zu fordern, dass die Frau Bestandteil der Definition des Begriffs „Bürger“ wird. Deswegen bezeichnet man die „erste Welle“ der feministischen Bewegung als „Gleichberechtigungs-Feminismus“ (Uçan Çubukçu, 2004). Zu den Forderungen dieser ersten Etappe zählten das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit außer Haus und die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, worunter auch das Wahlrecht fällt. Die Frauenbewegungen, die sich im Westen entwickelt hatten, breiteten sich mit ihren Forderungen in Wellen auch in den übrigen Länder der Welt aus. Auch das Osmanische Reich bekam seinen Anteil zu spüren und wurde durch diese Entwicklungen beeinflusst (Çakır, 1996).
Wirft man einen Blick auf die Frauenbewegungen zur Zeit des Osmanischen Reiches und der Gründungsphase der Republik Türkei, erkennt man, dass anfangs insbesondere das Recht auf Bildung, das Wahlrecht und die Staatsbürgerschaft als besonders dringend eingestuft wurden. Betrachtet man die Zusammensetzung der Bewegung sieht man, dass es sich um eine vielfältige Gruppe handelte, in der griechische, armenische, tscherkessische, arabische, jüdische, kurdische und andere Frauen vertreten waren. Die Mitglieder der verschiedenen Gesellschaftsgruppen brachten jeweils ihre eigenen Zeitschriften heraus, gründeten Vereine und Stiftungen und führten den Kampf als aktives Subjekt der Frauenbewegung (Özdemir, 2016). Nach der Gründung der Republik Türkei kann leider nicht mehr von einer multilingualen und multikulturellen Struktur die Rede sein, und das bis in die 1980er Jahre. Stattdessen dominierte die türkisch-muslimische Frauenbewegung – sie ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen in der kemalistischen Türkei.
Die Vereine sind bei der Auswahl der Themen für ihre Arbeit und Publikationen – ebenso wie die Zeitungen und Zeitschriften – für die Diskussion über die Rolle der Frau im Osmanischen Reich, stets davon ausgegangen, was die gebildeten Frauen der Mittelschicht besonders betrifft. Die Überschriften der verschiedenen Debatten sind vielfältig: Vielehe, das einseitige Recht auf Scheidung für den Mann, die Diskriminierung der Frau im öffentlichen Leben oder auch ihre Grenzen in Bezug auf die Kleiderordnung. Außerdem wird die Rolle der Frau innerhalb der Familie kritisiert und das Recht eingefordert, in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit, Gesellschaft und Öffentlichkeit präsent zu sein. Darüber hinaus gab es zu dieser Zeit Frauen, die individuelle Freiheiten und Selbstbestimmung für sich beanspruchten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden einige dieser Forderungen erfüllt und in Bezug auf einige Punkte erfolgten Gesetzesänderungen. Beispielsweise wurde die Ehe als Institution registrierungspflichtig, das Heiratsalter der Frau heraufgesetzt, das Recht auf einseitige Scheidung abgeschafft und auch die Frau erhielt ein Recht auf Scheidung (Zihnioğlu, 2003; Saktanber, 2002). Doch auch wenn die Veränderungen während des Tanzimat (der Reformperiode des Osmanischen Reiches, Anm. d. Übers.) in Bezug auf die Probleme der Frauen positive Entwicklungen mit sich brachten, wanderte die Kontrolle über die Frau dadurch in die Hände des Staates und die staatliche Oberhoheit wurde vergrößert. Durch die Schritte, die auf dem Weg zum Rechtsstaat unternommen wurden, wurde das muslimische Herrschaftssystem des Mannes durch ein vom modernen Staat kontrolliertes Herrschaftssystem des Mannes ersetzt. Während der Staat einerseits die Aufgabe übernahm, für die Sicherheit der Frau zu sorgen, bekam er gleichzeitig mehr Kontrolle über die Familie, die Bevölkerung und die Beschäftigungspolitik (Berktay, 2003).
Zu diesem Zeitpunkt stiegen die Bildungsmöglichkeiten der Frau nach und nach. 1914 erhielten sie das Recht die Universität zu besuchen, auch wenn lediglich eine begrenzte Anzahl Frauen davon profitieren konnte. Dennoch konnten damals, während der zweiten osmanischen Verfassungsperiode, gebildete Frauen mit Beruf und Fremdsprachenkenntnissen unter dem Einfluss der zeitgleich im Westen stattfindenden Suffragetten-Bewegung (der Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen) den ersten feministischen Kampf beginnen. Das zeigt, dass die ersten Samen der feministischen und der Frauenbewegung auf unserem Boden nicht mit dem Kemalismus und auch nicht mit der Gründung der Republik aufgingen, sondern alles bereits viel früher seinen Anfang genommen hat.
Der Diskurs und die Forderungen bezüglich der Frauenrechte fand in den ersten Jahren der Republik unter dem Schutz der Männer statt und innerhalb der nationalstaatlichen männlichen Dominanz. Im Rahmen der offiziellen Ideologie wurden die Stimmen der meinungsmachender Frauen gedrosselt, sobald sie an Macht gewonnen hatten. Zu Zeiten der Republik wurde die Frauenbewegung durch einen Diskurs und Aktionen beeinflusst, die darauf abzielen, den gesellschaftlichen Status der Frau zu verbessern und dies gleichzeitig instrumentalisierten. In dieser Phase wurden die Beziehungen zum Feminismus im Westen geschwächt, während gleichzeitig die Auseinandersetzung mit Männern in der privaten Sphäre und dem Herrschaftssystem des Mannes in den Hintergrund trat (Durakbaşa, 1998).
Mehr dazu im Dossier: "Die Frauenbewegung in der Türkei: WIderstand, Aufstand, Sieg"