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Die Gleichstellungspolitik der EU und die Rolle des Europäischen Parlaments

Banner zur Konferenz "Gleichstellungsprojekt Europa?" des Gunda-Werner-Instituts vom 21.-22.März 2014
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Die Gleichstellung der Geschlechter gehört zum Kernbestand des Europarechts. Sie ist ebenso zentrales Ziel wie auch wesentliche Aufgabe der EU und in den EU-Verträgen seit 1957 explizit festgelegt. Gleichstellungspolitik ist von der Europäischen Kommission durch verschiedene Strategien entwickelt und durch zahlreiche Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) konkretisiert worden. Die dritte wichtige EU-Institution ist das Europäische Parlament; es war – gerade seit der ersten Direktwahl 1979 – stets ein Verfechter aktiver Gleichstellungspolitik. Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über die Entwicklung des Politikfeldes gegeben werden. Sodann wird das Europäische Parlament hinsichtlich seines traditionell hohen Frauenanteils und seiner Rolle als gleichstellungspolitischer Akteur thematisiert. Ich werde zeigen, dass die EU in der Gleichstellungspolitik wichtige Impulse gesetzt hat und das Europäische Parlament hierzu beigetragen hat.

 

Gleichstellungspolitik von 1957 bis heute

Die Gleichstellungspolitik der EU ist durch vier komplementäre Strategien geprägt: (1) eine »formalrechtliche Gleichstellung« der Geschlechter; diese Strategie dominierte bis Mitte der 1970er Jahre. Sie wurde seitdem durch (2) eine Politik der »aktiven Frauenförderung« ergänzt. Diese erlaubt Maßnahmen der positiven Diskriminierung zugunsten des unterrepräsentierten Geschlechts, d.h. in der Regel zugunsten von Frauen. (3) Mitte der 1990er Jahre kam »Gender Mainstreaming« (GM) als ein proaktiver und querschnittsorientierter Ansatz hinzu. In jüngster Zeit erlangt (4) ein »erweiterter Antidiskriminierungsbegriff « Bedeutung, der die Frage nach der Verschränkung von Geschlecht mit anderen Diskriminierungsmerkmalen (z.B. ethnische oder soziale Herkunft) aufwirft.

Die Gleichstellungspolitik ruht auf verschiedenen Pfeilern. Der erste und wesentliche Pfeiler ist das verbindliche EU-Recht. Ausgangspunkt hierfür war Art. 119 EWG-Vertrag von 1957 (heute Art. 157 AEUV): gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer. Trotz vertraglicher Fixierung blieb diese Norm lange Zeit wirkungslos; de facto besteht bis heute ein gravierender „gender pay gap“. Erst im Gefolge von EuGH-Urteilen wurden von der Kommission seit Mitte der 1970er Jahre zahlreiche gleichstellungspolitische Richtlinien (RL) entwickelt mit dem Ziel, die Diskriminierung von Frauen abzubauen und Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Das »Gendergemeinschaftsrecht« konzentriert sich vorrangig auf die Bereiche Weiterbildung und Beschäftigung (RL 2006/54/EG, RL 2010/41/EU), soziale Sicherung und Pensionen (RL 79/7/EWG, Richtlinie 96/97/EG), Vereinbarkeit von Beruf und Familie (RL 92/85/EWG, RL 2010/18/EU), sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (RL 97/80/EG) sowie Zugang zu Gütern und Dienstleistungen (RL 2004/113/EG). Ferner existieren zwei neue Richtlinien gegen Menschenhandel (RL 2011/36/EU) und zur Stärkung der Rechte der Opfer (RL 2012/29/EU), die in besonderem Maße Frauen und Mädchen als Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution adressieren. Neben den Richtlinien bestehen zahlreiche nicht-rechtsverbindliche Empfehlungen des Rates der EU; hier sei etwa der vom Rat 2011 beschlossene Pakt für Geschlechtergleichheit für die Jahre 2011-2020 erwähnt. Den zweiten Pfeiler bilden seit 1982 die mehrjährigen Aktionsprogramme mittels derer v.a. Pilotprojekte gefördert werden, z.B. zur Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit (PROGRESS) oder zur Verhinderung der Gewalt gegen Frauen (STOP, DAPHNE). Allerdings war ihre Finanzausstattung relativ gering. Dies hat sich mit ihrer Einbindung in fünfjährige »Rahmenstrategien für die Gleichstellung von Frauen und Männern« seit 2001 etwas verbessert. Die Rahmenstrategien bündeln alle geschlechterpolitischen Programme und Initiativen. Die aktuelle »Strategie für Geschlechtergleichheit « (2010-2015) schreibt diesen Ansatz fort. Besondere Priorität genießen Maßnahmen zur Umsetzung der Europa 2020-Strategie zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, zur Durchsetzung der Lohngleichheit, zur Stärkung von Frauen in Führungspositionen, zur Bekämpfung von Gewalt aufgrund des Geschlechts und zur besseren Berücksichtigung von Gleichstellungspolitik im außenpolitischen Handeln der EU (z.B. Entwicklungspolitik). Mit dem Amsterdamer-Vertrag wurde Gender Mainstreaming (GM) 1996 als dritter Pfeiler eingeführt. Nunmehr soll die Union bei all ihren Tätigkeiten geschlechterpolitische Effekte systematisch berücksichtigen (heute Art. 8 AEUV). Chancengleichheit und Gleichstellung der Geschlechter werden in den zentralen Zielkatalog der EU (heute Art. 2 und 3 AEUV) aufgenommen. Ferner wird Antidiskriminierungspolitik über das Geschlecht hinaus auf weitere soziale Diskriminierungstatbestände ausgeweitet. Erste Richtlinien wurden im Hinblick auf ethnische Abstammung (RL 2000/43/EG) und einer allgemeinen Gleichbehandlung im Erwerbsleben (RL 2000/78/EG) verabschiedet. Damit stellt sich das Problem einer Hierarchisierung von Diskriminierungstatbeständen bzw. des Spannungsverhältnisses von Geschlecht zu anderen Diskriminierungsmerkmalen. Jüngster und vierter Pfeiler ist das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (http://eige.europa. eu/), das 2010 mit Sitz in Vilnius gegründet wurde. Seine Aufgabe ist es, den EU-Institutionen fachliche Expertise für die Entwicklung von Geschlechterpolitik zur Verfügung zu stellen. Es legt regelmäßig Hintergrundberichte vor zum Stand der Entwicklung der Gleichstellung der Geschlechter in den EU-Staaten.

Repräsentation von Frauen im Europäischen Parlament

Wenngleich Parlamente kein Spiegelbild der Gesellschaft sein können, besteht demokratietheoretischen im Sinne einer »Selbstherrschaft « das Gebot einer gewissen Korrespondenz zwischen Sozialstruktur der Repräsentierten (Wahlvolk) und Zusammensetzung der Vertretungskörperschaft (Parlament). Dieser Zusammenhang wird als »deskriptive Repräsentation« (Hanna F. Pitkin) bezeichnet. Im Hinblick auf die Geschlechter lässt sich ein Ungleichgewicht in der deskriptiven Repräsentation feststellen: Frauen stellen mehr als 50% der Bevölkerung in den EUStaaten, sie sind gemeinhin in den politischen Institutionen – in Parlamenten, Regierungen etc. – unterrepräsentiert. Dieser Umstand wird zunehmend als Verletzung des zentralen Prinzips der demokratischen Gleichheit betrachtet. Von hier aus begründen sich Forderungen nach einem höheren Frauenanteil und nach echter „Geschlechterdemokratie“. Allerdings bestehen bemerkenswerte Unterschiede. Das Europäische Parlament (EP) fällt seit Einführung der Direktwahl – im Unterschied zu den anderen EU-Organen sowie zu vielen nationalen Parlamenten – durch seinen hohen Frauenanteil positiv auf. Bereits in der ersten Wahlperiode (WP) 1979-1984 waren 16% der Abgeordneten (MEPs) weiblich; der Anteil ist kontinuierlich gestiegen und beträgt aktuell (Stand: Nov. 2013) 36%. In den Parlamenten der Mitgliedstaaten stellen Frauen hingegen nur gut ein Viertel (27%) der Abgeordneten. Auch im Vergleich zum Deutschen Bundestag (BT) zeigen sich bemerkenswerte Unterschiede; noch 1979 sind gerade mal 7,3% der Mitglieder des Bundestags (MdBs) weiblich; erst in den 1980er Jahren wurde die 10%-Marke überschritten. Seit den 1990er Jahren verläuft die Entwicklung des Anteils weiblicher Abgeordneter in den beiden Parlamenten relativ parallel; er stagniert aber bei gut einem Drittel und ist damit von einer Parität noch weit entfernt (IAbb. 3I)).

Auffällig ist, dass zudem der Anteil weiblicher MEPs nach Ländern meist höher ist als der Frauenanteil im jeweiligen nationalen Parlament (vgl. im Detail Hoecker 2013, S. 98). Beispiel Finnland: Der Frauenanteil im finnischen Parlament, der Eduskunta, nimmt mit 43% eine Spitzenposition unter den EU-28 sowie auch weltweit (Platz 7) ein, unter den finnischen MEPs beträgt er sogar 62%. Beispiel Malta: Das nationale Parlament, die Kamra Tad-Deputati, gehört mit 14% Frauenanteil zu den Schlusslichtern, doch im Europäischen Parlament sind 50% der maltesischen MEPs Frauen. Im Durchschnitt beträgt die Differenz 11,5 Prozentpunkt, sie ist aber in vielen Fällen deutlich höher (I Abb. 3I). Schließlich ist für 15 EU-Staaten der Anteil weiblicher MEPs höher als der Durchschnitt, 12 Mitgliedstaaten liegen unter dem Durchschnitt von derzeit 36%. Allerdings haben nur noch vier Mitgliedstaaten einen Wert unter einem Viertel weiblicher MEPs, von den nationalen Parlamenten trifft dies hingegen noch auf 14 zu.

Aufschlussreich ist auch eine Aufschlüsselung des Frauenanteils nach politischen Fraktionen. Hier zeigt sich ein auch im Zeitverlauf stabiles Rechts-Links-Muster, d.h. in den Fraktionen links von der Mitte ist der Frauenanteil höher als in denen rechts von der Mitte. Dieser Zusammenhang zwischen Parteiideologie und Frauenrepräsentation ist aus den Mitgliedstaaten bekannt (für Deutschland s. Hoecker 2008, S. 14); er führt zu spezifischen Rekrutierungsmuster für Kandidat/innen in den nationalen Parteien.. Während das parteipolitische Muster noch leicht erklärbar ist (Parteiideologie, Quoten), bedürfen die hohe Repräsentation von Frauen im Europäischen Parlament bzw. die festgestellten Differenzen in den Frauenanteilen einer komplexeren Erklärung (vgl. ausführlich Hoecker 2013, S. 118-142). Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich die Stellung des Europäischen Parlaments im EU-System gewandelt hat; Erklärungen, die etwa für die ersten Jahre relevant waren (z.B. Neuheit der Institution), haben heute nur noch eingeschränkt Gültigkeit (vgl. Abels 2001).

Prinzipiell kann zwischen (1) institutionellen, (2) politisch-kulturellen und (3) sozio-ökonomischen Faktoren unterschieden werden.

(1) Hierzu gehören z.B. das Wahl- und Parteiensystem oder Quotenregelungen. Seit 1999 erfolgt die Europawahl nach gleichen Wahlgrundsätzen; eine Verhältniswahl ist überall Pflicht. Für einige Länder bedeutet dies, dass Wahlen zum nationalen Parlament nach einem anderen Wahlsystem stattfindet (Mehrheitswahlsystem, z.B. in Frankreich und Großbritannien; Mischwahlsysteme z.B. in Deutschland) als die zum Europäischen Parlament (Verhältniswahlsystem). In der Forschung ist gut belegt, dass Verhältniswahlsysteme »frauenfreundlicher« sind, denn bei der Zusammenstellung der Listen durch die Parteien können zahlreiche Kriterien (z.B. Geschlecht, politischer Flügel, regionale Herkunft) berücksichtigt werden. Quoten verstärken diesen Effekt. Sie existieren – zumeist als parteiinterne, teils auch als gesetzlich fixierte – in den meisten EU-Staaten, nur in acht Staaten bestehen keine (Hoecker 2013, S. 124f.). Gleichwohl können Quoten sehr unterschiedlich ausgestaltet sein und selbst im Falle einer gesetzlichen Kodifizierung unterlaufen werden; hierfür ist Frankreich ein Beispiel. Auf der anderen Seite ist Schweden ein Spitzenreiter, ohne dass es Quoten gab; sie wurden erst in jüngster Zeit von einigen schwedischen Parteien eingeführt, um sich schneller der 50%-Marke anzunähern.

(2) Die skandinavischen Länder sind ein Beleg für die Wirkung einer politischen Kultur, welche der Gleichheit der Geschlechter einen hohen Stellenwert beimisst. In den Mitgliedstaaten, in denen z.B. eine traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter hohe Zustimmung findet – und hierzu gehören die meisten post-kommunistischen Staaten Osteuropas, die 2004 bzw. 2007 der EU beigetreten sind – ist der Anteil von Frauen in der Politik zumeist niedriger. Dies muss sich aber nicht in ihrem Anteil an weiblichen MEPs niederschlagen; Beispiele hierfür sind Estland oder Rumänien. In den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten spielt hingegen vielfach der Faktor des Neuen eine wichtige Rolle; Rekrutierungsmuster müssen sich in den nationalen Parteien erst noch etablieren und es gibt noch keine etablierten Amtsinhaber, die von Kandidatinnen erst verdrängt werden müssten. Insgesamt lässt sich zeigen, dass die Gleichstellungsnorm aber über das gesamte Parteienspektrum hinweg eine Wirkung entfaltet und zur Rekrutierung von mehr Kandidatinnen führt; eine Ausnahme bilden rechtsgerichtete europaskeptische Parteien.

(3) Die Rekrutierung von Kandidat/innen erfolgt auf nationaler Ebene durch die Parteien. Neben ihrer Programmatik (s.o.) spielen in Rekrutierungsprozessen nicht zuletzt auch sozioökonomische Faktoren eine Rolle. Ein hoher Bildungsstand, Erwerbstätigkeit und persönliche Lebenssituation (v.a. Zeitautonomie) sind Faktoren, die politische Karrieren von Frauen positiv beeinflussen. Ein Mandat im Europäischen Parlament verlangt ein besonders hohes Maß an Mobilität, zeitlicher Verfügbarkeit und der Möglichkeit der Abwesenheit von der Familie.

Europäisches Parlament als gleichstellungspolitischer Akteur

Neben der deskriptiven spielt die substantielle Repräsentation eine wesentliche Rolle, d.h. inwiefern gleichstellungspolitische Interessen vertreten werden. Gemeinhin wird angenommen, dass hier ein Zusammenhang besteht und mehr Frauen in Parlamenten für Frauenpolitik eine förderliche Bedingung ist. Gemeinhin wird eine Schwelle bei ca. 30% angesetzt; diese Schwelle wird im Europäischen Parlament allerdings erst seit 1999 erreicht. Diese quantitativ fixierte These der kritischen Masse ist schon früh kritisiert und um ein qualitatives Element ergänzt worden, welches das politische Handeln der Abgeordneten in den Blick nimmt. Mushaben (1998) spricht hier von »politics of critical acts«. Solche „kritischen Handlungen“ hat das Europäische Parlament seit 1979 zahlreich getätigt und sich damit in der Gesamtschau als Verfechter von Gleichstellungspolitik erwiesen. So ist es kein Zufall, dass der erste Präsident des Europäischen Parlaments nach der ersten Direktwahl 1979 eine Frau war, die Französin Simone Veil. Hiermit wollte das Parlament als neue Institution ein wichtiges, nicht zuletzt gleichstellungspolitisch motiviertes Zeichen setzen. Freilich findet symbolische Politik auch im Europäischen Parlament seine Grenze: Veil ist erst zwanzig Jahre später eine weitere Frau in das Präsidentenamt gefolgt (Nicole Fontaine, 1999-2002).

Innerhalb des Europäischen Parlaments ist der Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter (kurz FEMM) der wichtigste gleichstellungspolitische Akteur. FEMM ist einer von derzeit 20 Ausschüssen und besteht seit 1984. Allerdings gab es im Kontext der Einführung von Gender Mainstreaming in den Jahren 1998 und 2000 durchaus Debatten, den Ausschuss abzuschaffen. Seine 35 Mitglieder sind in der Mehrzahl Frauen (30); den Vorsitz hat momentan ein Mann. Als neutralem (im Unterschied zu obligatorisch) Ausschuss wird FEMM zumeist ein geringerer Stellenwert zugesprochen. Ahrens (2012) hingegen betont, dass sich im FEMM gerade durch die freiwillige Mitgliedschaft die kompetenten Gleichstellungspolitiker/innen engagieren und hierdurch eine hohe inhaltliche Geschlossenheit erzielt werden könne; gleichwohl gibt es auch programmatische Konflikte. Zudem ließe sich durch die Doppelmitgliedschaft der Ausschussmitglieder Gleichstellung als Querschnittsthema einbringen. FEMM legt vielfach eigene Initiativberichte vor, um auf Missstände hinzuweisen oder die Kommission und die Mitgliedstaaten zum Handeln aufzufordern. Aktuelle Initiativen befassen sich mit der Genderdimension in der Fischereipolitik, dem Umgang mit Migrantinnen ohne Papiere, Fragen sexueller und reproduktiver Gesundheit, sexuelle Ausbeutung und Kriminalisierung von Prostitution oder Inklusion von Roma und die Situation behinderten Frauen.

Das Parlament als Ganzes hat in der Regel die gleichstellungspolitischen Richtlinienvorschläge der Kommission mitgetragen, oftmals weitreichende Änderungsvorschläge vorgebracht und die Mitgliedstaaten vielfach zu entschlossenem Handeln aufgefordert. Dies liegt u.a. an der Dominanz integrationsfreundlicher Parteien und den besonderen Mustern überfraktioneller Konsensbildung im Europäischen Parlament. Z.B. hat das Europäische Parlament im November 2013 dem Vorschlag der Kommission für eine 40% Frauenquote in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen zugestimmt, der allerdings keine Chance auf Annahme im Rat der EU hat. 

Bilanz und Ausblick

Die EU-Gleichstellungspolitik zeugt von einer beachtlichen Dynamik und inhaltlichen Ausweitung. Dank der Aktivitäten der Kommission haben wir heute ein sehr viel differenzierteres Bild vom Wandel der Geschlechterverhältnisse und weiterhin bestehenden Ungleichheiten in den EU-Staaten. Gleichwohl ist einzuräumen, dass es oftmals an einer konsequenten Umsetzung hapert; auch die potentiell transformative GM-Strategie wird nur unzureichend durchgesetzt. Der Schwerpunkt der Politik lag lange Zeit exklusiv auf dem ökonomischen Bereich, v.a. dem Erwerbsleben. Dies war zugleich eine Stärke als auch eine Schwäche des EU-Rechts. Die gerade für Frauen relevante Verflechtung von privater Hausarbeit und öffentlicher Erwerbstätigkeit („Vereinbarkeitsproblem“) wird erst allmählich systematisch als Voraussetzung für „Erwerbsfähigkeit“ berücksichtigt. Zunehmend geraten auch weitere Handlungsfelder (z.B. Gewalt, Entwicklungspolitik) in den Blick. Die Mitgliedstaaten erweisen sich als wichtiges Nadelöhr; sie zögern häufig die Umsetzung von Richtlinien und Maßnahmen hinaus oder setzen diese nur lückenhaft um.

Gemeinhin gilt, dass je mächtiger eine politische Institution ist, desto geringer ist der Frauenanteil. Das Europäische Parlament passt nicht in dieses Muster. Seine Kompetenzen sind in den letzten 20 Jahren sukzessive ausgebaut worden und es wird durch den Lissabon-Vertrag von 2009 nochmals gerade in seiner Rolle als Gesetzgeber gestärkt. Parallel zu seinem Machtzuwachs ist der Frauenanteil unter den MEPs stetig angewachsen. Der alte Slogan „Hast du einen Opa, dann schick ihn nach Europa“ trifft heute noch weniger zu als früher. Auch früher war die Möglichkeit groß, dass es sich bei dem Opa um eine Oma handelte. Zudem ist das Europäische Parlament längst kein „Abstellgleis“ mehr für ausgediente Politiker/innen. Viele – und gerade auch weibliche – MEPs setzen ihre politische Karriere oftmals später auf nationaler Ebene fort.

Durch den Machtzuwachs ist ein europäisches Mandat attraktiver und der Kampf um aussichtsreiche Listenplätze in den Parteien härter geworden. Nicht zuletzt durch Quotenregelungen konnten die bisherigen Erfolge für Frauen abgesichert werden. Gleichwohl sind wir von einer echten Parität noch weit entfernt. Aus diesem Grund wird im Vorfeld jeder Europawahl eine 50/50-Kampagne für mehr Frauen gestartet, so auch für die Wahl in 2014 (s. http://paritydemocracy. eu/). Wie erfolgreich diese Kampagne sein wird, bleibt abzuwarten. Der Frauenanteil in der achten Wahlperiode 2014-2019 wird nicht zuletzt vom Wahlergebnis abhängen. Sofern, wie derzeit vielfach prognostiziert, die europaskeptischen, meist männerdominierten Parteien große Zugewinne erzielen, ist dies weder für die Entwicklung des Europäischen Parlaments noch für die EU-Gleichstellungspolitik ein gutes Zeichen.

Literaturhinweise

Abels, Gabriele (2001): Das »Geschlechterdemokratiedefizit« der EU: Politische Repräsentation und Geschlecht im europäischen Mehrebenensystem. In: Kreisky, Eva/ Sauer, Birgit/Lang, Sabine (Hrsg.): EU. Geschlecht. Staat. Wien, S. 185-202.

Abels, Gabriele (2008): Geschlechterpolitik. In: Hubert Heinelt/Michèle Knodt (Hrsg.): Politikfelder im EU-Mehrebenensystem. Instrumente und Strategien europäischen Regierens. Baden-Baden, S. 293-310.

Ahrens, Petra (2012): Wenn sich Nachteile als Vorteile erweisen: Der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament. In: Femina Politica, H. 2/2012, S. 119-126.

Europäische Kommission (2013): Datenbank über die Mitwirkung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen. Internet: http://ec.europa.eu/justice/ gender-equality/gender-decision-making/database/politics/index_de. htm.

Hoecker, Beate (2008): 50 Jahre Frauen in der Politik: späte Erfolge, aber nicht am Ziel. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 24-25/2008, S. 10-18.

Hoecker, Beate (2013): Frauen und das institutionelle Europa: Politische Partizipation und Repräsentation im Geschlechtervergleich. Wiesbaden.

Klein, Uta (2006): Geschlechterverhältnisse und Gleichstellungspolitik in der Europäischen Union. Wiesbaden. Mushaben, Joyce Marie (1998): The Politics of Critical Acts: Women, Leadership and Democratic Deficits in the European. In: The European Studies Journal 2/1998, S. 51-91.

Wobbe, Theresa and Ingrid Biermann (2009): Von Rom nach Amsterdam: Die Metamorphosen des Geschlechts in der Europäischen Union. Wiesbaden. 


Der Beitrag erscheint im Heft "Deutschland und Europa" Nr 67/2014 der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg .
Weitere Informationen: www.deutschlandundeuropa.de