Im internationalen Vergleich des sogenannten Gender Pay Gap (geschlechtsspezifisches Lohngefälle) schneidet Europa relativ gut ab. 2011 zum Beispiel registrierten lediglich zwei europäische Mitgliedsstaaten (die tschechische Republik und Österreich) ein höheres Lohngefälle[i] für eine durchschnittliche Vollzeitkraft als die USA. Daher waren die meisten Kommentatoren überrascht, als kürzlich eine von der Europäischen Kommission finanzierte Studie herausfand, dass bei den europäischen Rentnern über 65 Frauen im Durchschnitt 886 € pro Monat und Männer im Durchschnitt 1.447 € bekamen, was einem Rentengefälle von 39% entspricht. Was zu weiterer Verwirrung beitrug, war die Tatsache, dass sich in Deutschland der Unterschied sogar auf 44% beläuft - in einem der wenigen Länder also, in dem die Beschäftigungsrate von Frauen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen ist, da es das Land geschafft hat, die Rezession praktisch unbeschadet zu überstehen[ii].
Männer | Frauen | % gefälle | |
---|---|---|---|
Luxemburg | 3751 | 2004 | 46.6 |
Deutschland | 1804 | 1016 | 43.7 |
Vereinigtes Königreich | 1501 | 858 | 42.8 |
Niederlande | 2220 | 1323 | 40.4 |
Zypern | 1134 | 692 | 39.0 |
EU-27 | 1447 | 886 | 38.8 |
Frankreich | 1960 | 1205 | 38.5 |
Griechenland | 1037 | 667 | 35.6 |
Irland | 1869 | 1216 | 35.0 |
Österreich | 2319 | 1535 | 33.8 |
Spanien | 1168 | 774 | 33.7 |
Portugal | 766 | 512 | 33.1 |
Bulgarien | 169 | 113 | 32.8 |
Schweden | 1881 | 1270 | 32.5 |
Rumänien | 197 | 135 | 31.5 |
Italien | 1565 | 1082 | 30.9 |
Norwegen | 2556 | 1789 | 30.0 |
Belgien | 1622 | 1147 | 29.3 |
Slowenien | 874 | 624 | 28.6 |
Finnland | 1738 | 1305 | 24.9 |
Island | 1276 | 965 | 24.3 |
Malta | 757 | 597 | 21.1 |
Dänemark | 2070 | 1681 | 18.8 |
Litauen | 304 | 257 | 15.3 |
Ungarn | 340 | 289 | 15.0 |
Tschechische Republik | 430 | 375 | 12.8 |
Lettland | 271 | 246 | 9.2 |
Slowakei | 383 | 353 | 7.8 |
Estland | 322 | 308 | 4.4 |
Warum diese große Ungleichheit? Und ist sie wirklich so besorgniserregend? Die vorbenannte Studie enthält einige gute Nachrichten, ist aber auch Grund zur Sorge. Eine gute Nachricht ist, dass durchschnittlich ‘nur’ ungefähr 7% der älteren Frauen keinerlei Anspruch auf Rentenbezüge in der EU haben, wobei sich Rentenbezüge auf sämtliche Einnahmen beziehen: beitragsbasierte Ruhestandsbezüge über Hinterbliebenenrente bis hin zu regelmäßiger, in bar ausgezahlter Sozialhilfe. Regelmäßige, in bar ausgezahlte Sozialhilfe, was in einigen Ländern z.B. als Grundrente bezeichnet wird, wird oftmals älteren Menschen gewährt, die sonst keinen Anspruch auf ‘angemessene’ Rente haben. Zudem kann sie als eine Art Anerkennung für Hausfrauen angesehen werden, die ihr Leben lang gearbeitet haben, ohne allerdings ein Gehalt zu beziehen. Die Ironie besteht darin, dass diese Bezüge, da sie in der Regel bescheiden sind, die Geschlechterungleichheiten - alleine auf Grundlage der lebenslangen Einnahmen - wider Erwarten noch verschärfen können.
Es wäre jedoch vorschnell, daraus zu schließen, dass sich die Dinge zwangsläufig für die Frauen zum Besseren wenden werden mit der Begründung, dass zukünftige RenterInnen mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit einer bezahlten Arbeit nachgehen werden als heutige RentnerInnen. Ein genereller Grund zur Sorge, der sich aus der Studie ergibt, ist, dass der Familienstand sowie die Anzahl der Kinder die Geschlechterungleichheiten im Rentenalter mehr verschärfen zu scheinen als der Bildungsgrad. Daher können wir weder von den bemerkenswerten Verbesserungen des Bildungsgrads von jungen Frauen, die wir in Europa und anderswo in den letzten Jahrzehnten beobachten konnten, noch von dem beständigen Anstieg der Beschäftigungsrate von Frauen atemberaubende Fortschritte erwarten. Insbesondere wenn dieser Anstieg eine starke Teilzeitkomponente beinhaltet, wie es in Europa seit 2000 der Fall ist[iii].
Besonderen Grund zur Sorge bereitet die Tatsache, dass in den meisten europäischen Ländern privatfinanzierte Altersvorsorgemodelle wahrscheinlich noch mehr an Fahrt gewinnen werden als es heute schon der Fall ist. Europa ‘ergraut’ und benötigt private Altersvorsorgeregelungen, um die Nachhaltigkeit seiner Rentensysteme zu sichern. Die Studie aber hat herausgefunden, dass das Gefälle zwischen Männern und Frauen bei Rentenbezügen aus privatfinanzierten Systemen (meistens beitragsorientiert) in der Regel größer ist als bei arbeitgeberfinanzierten oder staatlichen Modellen. In Dänemark und Schweden, aber auch im Vereinten Königreich und Deutschland verstärken Rentenbezüge aus freiwilligen Beitragsmodellen die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen; lediglich die Niederlande stellen hier eine Ausnahme dar. Allerdings sind die Beweise dünn, da es freiwillige Altersvorsorgemodelle nur in einigen wenigen EU-Mitgliedsstaaten gibt und die Bezüge aus derartigen Modellen in der Regel gering sind. Dies verheißt nichts Gutes für die Zukunft.
Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der Rentenbezüge sind ebenfalls wenig beruhigend. Im letzten Fünfjahreszeitraum, für den uns Daten zur Verfügung stehen (2004-2009), hat sich das Rentengefälle zwischen Männern und Frauen auf EU Ebene um fast zwei Punkte vergrößert, obgleich dadurch länderspezifische, gegenläufige Trends verdeckt werden[iv].
Bewerten wir das Rentengefälle zwischen Männern und Frauen über? Schließlich scheinen sich Rentner eher auf finanzielle Vermögenswerte oder Immobilien stützen zu können als junge Menschen; Vermögenswerte sind zwischen Männern und Frauen tendenziell gleichmäßiger verteilt als Bezüge; und Nachlässe gleichen vermögenswertbasierte Geschlechterungleichheiten zusätzlich aus, da Frauen länger leben[v]. Wir wissen nach wie vor wenig über Vermögensungleichgewichte zwischen älteren Männern und Frauen in Europa und ob sie Rentenungleichheiten kompensieren oder verstärken. Daher können wir ein großes Rentengefälle nicht automatisch mit größerer wirtschaftlicher Härte für ältere Frauen gleichsetzen. Dennoch sollten wir es als Warnsignal begreifen.
Armut ist nicht das einzige Risiko; mangelnde finanzielle Unabhängigkeit von älteren Frauen ist ein weiteres. Dies wird offenkundig, wenn wir uns die Rentenunterschiede in den Haushalten anschauen. Der bislang herangezogene Gender Pension Gap vergleicht den durchschnittlichen Rentner mit der durchschnittlichen Rentnerin in einem bestimmten Land. In gewisser Weise ist es allerdings ein statistisches Artefakt, das die wirklichen Gegebenheiten eines Haushalts verzerren kann, z.B. wenn wir jede Frau in einem Paar mit ihrem Partner vergleichen. Wenn wir dies tun, sehen wir, dass die Unterschiede zwischen Partnern sogar noch größer sind als die Unterschiede zwischen einem Rentner und einer Rentnerin in einem Land. In der EU (EU 27) bekommt der männliche Partner üblicherweise eine Rente, die im Durchschnitt 42% höher ist als die seiner Ehefrau. In den Niederlanden (54%), Deutschland (57%) und Luxemburg (71%) ist dieses Gefälle am höchsten[vi]. Können wir wirklich davon ausgehen, dass derartige Ungleichheiten keine Rolle spielen, da sämtliche Ressourcen, einschließlich der Rentenbezüge, zu gleichen Teilen in den Paaren aufgeteilt werden, unabhängig davon, wer wieviel nach Hause trägt? Und können wir wirklich annehmen, dass - unabhängig davon, wer wieviel nach Hause trägt - Sie das gleiche Sagen wie Er hat bei Entscheidungen darüber, was gekauft wird, wo man hingeht oder wie Gesundheitspflege und -hilfe organisiert wird? Einkommen ist nicht das einzige Element, das bei der Stärkung der eigenen Verhandlungsmacht in der Familie eine Rolle spielt; und dennoch ist es relevant.
Die europäische Politik bezeichnet den sogenannten Gender Pay Gap (geschlechtsspezifisches Lohngefälle) immer noch als ausschlaggebenden Indikator für anhaltende Ungleichheit zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Ein Grund, vielleicht sogar der Hauptgrund, dafür besteht darin, dass das Lohngefälle klassischerweise mit der Option assoziiert wird, dass Diskriminierung - zumindest für einen Teil dieses Gefälles - verantwortlich zeichnet. Diskriminierung, ruft man uns implizit ins Gedächtnis, sollte auf dem Arbeitsmarkt oder anderswo in Europa nicht toleriert werden. Das bringt uns zu der Frage, ob Geschlechterungleichheiten bei Rentenbezügen eine andere, vielleicht aber genauso wenig akzeptable Art der Diskriminierung darstellen: die Diskriminierung nämlich, die bezahlter und unbezahlter Arbeit entgegentritt.
Rentenbezüge können als verspätete Entschädigung für geleistete Arbeit verstanden werden. Alters- oder Grundrenten sind eine teilweise Anerkennung dafür, dass insbesondere Frauen ihr ganzes Leben gearbeitet haben, wenn auch nicht auf dem Markt; eine recht bescheidene Anerkennung, sollte man hinzufügen. Es ist allseits bekannt, dass wenn wir bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammennehmen, Frauen in den meisten europäischen Ländern mehr arbeiten als Männer[vii]. Warum gibt es dann so einen großen Unterschied bei der Entschädigung für geleistete Arbeit, wo doch die lebenslange Arbeitsbelastung für Frauen die gleiche oder größer ist?
In dem Versuch, die finanzielle Nachhaltigkeit zu verbessern, haben Rentenmodellreformen in Europa in jüngster Vergangenheit die Beziehung zwischen der Höhe der Renten einerseits und den lebenslangen Sozialversicherungsbeiträgen andererseits gestärkt. Zudem begünstigen sie privatfinanzierte Altersvorsorgemodelle. Aus unterschiedlichen Gründen neigen beide Ansätze dazu, Geschlechterungleichheiten bei Rentenansprüchen zu verstärken. Es ist Zeit, die Konstruktion der Rentenreformen zu überdenken und das Ziel der finanziellen Nachhaltigkeit mit dem Ziel der Beseitigung von Ungleichheiten zu unterfüttern.
Video:
[KDI] Francesca BETTIO "Closing the Gender Employment Gap in Europe" - KDI
Direkt auf YouTube ansehen[i] OECD Familiendatenbank ‘Gender pay gaps for full-time workers and earnings differentials by educational attainment’.(http://www.oecd.org/els/soc/LMF1.5%20Gender%20pay%20gaps%20for%20full%20time%20workers%20-%20updated%20290712.pdf).
[ii] Bettio F. Betti G. und Tinios P. ‘The Gender Gap in Pension in the EU’, ENEGE Network, European Commission: Publication Office of the European Commission, Luxembourg, 2013. (http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/files/documents/130530_pensions_en.pdf).
Vorreiter dieser Studie war eine deutsche Studie des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: “The Gender Pension Gap: Entwicklung eines Indikators für faire Einkommensperspektiven für Frauen und Männer, Berlin, 2012 (www.bmfsj.de).
[iii] Zwischen 2000 und dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 stieg die Beschäftigungsrate von Frauen um 11,5 Mio. Einheiten, wobei Teilzeitbeschäftigungen fast die Hälfte dieses Anstiegs ausmachten. Während der Krise wurde Teilzeitarbeit oft als Instrument zur Vermeidung von Entlassungen eingesetzt: Sie stieg um weitere 1,2 Mio. zwischen 2008 und 2012, während die Vollzeitbeschäftigung fast 2 Mio. Einheiten einbüßte (Eurostat online Datenbank).
[iv] Bettio, Betti,Tinios (2013: Darstellung 8.1).
[v] Zur Übersicht des bestehenden Wissens über die Verteilung von Vermögenswerten zwischen den Geschlechtern siehe auch die Artikelsammlung herausgegeben von C.D. Deer und C.R. Doss, Sonderausgabe Feminist Economics, Thema Gender Asset Gap, sowie auch ihre Einleitung ‘The gender asset gap: what do we know and why does it matter’, Feminist Economics, 2006: 12 (1-2).
[vi] Bettio, Betti,Tinios (2013: Darstellung 12.3).
[vii] Francavilla F. Giannelli C.G. Grotkowska G. Piccoli L. Mieczyslaw W. S. ‘Women and unpaid family care work in the EU’, Studie in Auftrag gegeben vom Ausschuss “Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter” des Europäischen Parlaments, 2009 . Siehe insbesondere Darstellung 1 (http://www.psi.org.uk/pdf/2010/women_unpaid_work.pdf)