Cânân Arın

Kurzbiographie

Seit 1980 kämpft die Juristin Cânân Arın für Frauenrechte und gegen Männergewalt gegen Frauen. 

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Cânân Arın.

Nach ihrem Jurastudium an der juristischen Fakultät der Universität Istanbul promovierte Cânân Arın an der London School of Economics and Political Science in Verfassungsrecht. Im Jahr 1976 kehrte sie nach Istanbul zurück und nahm eine Tätigkeit als Rechtsanwältin auf.

Arın war Teil der zweiten türkischen Frauenbewegung, die nach dem Militärputsch 1980 entstand. Seither setzt sie sich gegen Männergewalt gegen Frauen ein, entwickelt frauenpolitische Maßnahmen und kämpft für Gesetzesänderungen zugunsten von Frauen.

Mor Çatı - die erste Frauenhausstiftung der Türkei

Im Jahr 1990 war sie Gründungsmitglied von Mor Çatı, der ersten Frauenhausstiftung in der Türkei, deren Treuhandvertrag sie verfasste. Mor Çatı das ist das erste Frauenhaus in der Türkei und hat seit seiner Gründung Tausenden von Frauen das Leben gerettet. Es ist nicht nur ein Ort, der Frauen Schutz vor Gewalt bietet. Mor Çatı entwickelt auch Maßnahmen, um Frauen Selbstvertrauen zu vermitteln und sie in ihrer Selbstselbstständigkeit zu unterstützen. Landesweite Frauenhaus-Kongresse, die zum ersten Mal 1998 anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November veranstaltet wurden, fanden heuer zum 22. Mal statt. Zahlreiche For­derungen, die in diesen Kongressen formuliert wurden, sind mittlerweile erfüllt. Die Frauenhaus­stiftung Mor Çatı ist heute weltweit anerkannt.

In der Türkei wird die wirksamste Oppositionsarbeit gegen Regierungen von Frauen getragen, Mor Çatı ist Wegbereiterin dieser Opposition.

Gemeinsam mit anderen Frauen rief Arın 1997 die Organisation Kader ins Lebenein Verein, der Kandidatinnen unterschiedlicher Parteien auf ihrem politischen Weg unterstützt – und war für zwei Perioden deren Vizepräsidentin. Ziel von Kader ist es, mehrFrauen in politische Positionen, z.B. ins  Parlament zu bringen.

Gegen Ver­heiratung von Minderjährigen und Zwangsehen

Arın gehört zudem zu den Gründerinnen des Zentrums für Frauenförderung der Istanbuler Anwalts­kammer. Hier bot sie verpflichtende Schulungen für Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen für den Umgang mit Frauen an, die Opfer männlicher Gewalt geworden sind.

Cânân Arın wurde Ende 2011 eingeladen, an den Vorbereitungen zur Gründung des Zentrums für Frauenförderung der Anwaltskammer Antalya als Ausbilderin teilzunehmen. Ihr Thema war die Ver­heiratung von Minderjährigen und Zwangsehen als Formen von Gewalt gegen Frauen. In ihrem Vortrag zur Verheiratung von Minderjährigen nannte sie als Beispiel den islamischen Propheten und die Ehe des damaligen türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül – drastische und somit eindrucksvolle Beispiele. Noch vor Ende ihres Vortrags betraten einige Männer den Raum und wollten Cânân Arın tätlich angreifen. Die Regierungsmedien waren benachrichtigt und filmten im Saal. Cânân Arın musste aus Antalya nach Istanbul flüchten.

Am folgenden Tag erstatteten zehn männliche Rechtsanwälte, die am Seminar nicht teilgenommen hatten, bei der Staatsanwaltschaft Antalya eine jeweils wortgleiche Strafanzeige gegen Arın. Der Staatsanwalt gab der Anzeige statt und klagte Arın wegen Herabwürdigung religiöser Werte, Verhetzung, Beleidigung des Staatsoberhauptes sowie weiterer Straftatbestände an. Das Gericht erteilte einen Haftbefehl mit der Begründung, die Wohnadresse von Arın sei unbekannt. Eine Unwahrheit: Rechtsanwälte und -anwältinnen müssen sich bei den Anwaltskammern mit ihren Privat-Anschriften registrieren. Cânân Arın wurde auf einer Reise nach Nemrut in ihrem Hotelzimmer in Gaziantep um fünf Uhr in der Früh von der Polizei abgeholt, zur Staatsanwaltschaft gebracht und verhört, nachdem sie vorher stundenlang warten musste.

In weiterer Folge wurde vom 18. Strafgericht der Ersten Instanz in Antalya eine Klage gegen Arın erhoben (Aktennummer 2012/642). Nachdem bei der ersten Verhandlung reaktionäre Männer auf sie losgegangen waren, blieb sie der zweiten Verhandlung fern. Am bisher letzten Verhandlungstag wurde beschlossen, das Verfahren aufzuschieben.

Daraufhin wandte sich Arın an den Verfassungsgerichtshof und beantragte einen Freispruch, der vom VfGH zurückgewiesen wurde, obwohl Arins Aussagen unter der türkischen Verfassung von der Meinungsfreiheit gedeckt waren. Arın klagte daraufhin vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Mittlerweile sind sowohl die Personen, die Arın angezeigt haben, als auch der Staatsanwalt, der die Anklageschrift verfasst hat, wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung – der die Beteiligung am Putschversuch von 2016, sowie die Unterwanderung des Justizapparats vorgeworfen wird - festgenommen worden. Die Klage gegen Arın wird aber – wie sonstige politische Klagen auch – von neuen Staatsanwälten und Richtern weiterfolgt.

Aufrechterhaltung der Istanbul-Konvention

Zuletzt wurde Arın wegen eines Artikels in der Zeitung Cumhuriyet im Zusammenhang mit den Diskussionen rund um den Rückzug der türkischen Regierung aus der Istanbul Konvention – Dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von der Regierungspartei AKP auf Schmerzensgeld verklagt. Die Klage ist weiterhin anhängig.

Arın war auch an der Adaptierung des türkischen Zivilrechts – insbesondere des Familienrechts – für Geschlechtergleichheit beteiligt. Sie war Teil der Frauenplattform zur Neuverfassung des türkischen Strafrechts, insbesondere des Kapitels zu sexuellem Mißbrauch und spielte eine herausragende Rolle bei den entsprechenden Gesetzesänderungen.

Eine ebenso wichtige Rolle spielte Arın im Jahr 1998 bei der Verabschiedung eines Gesetzes zum Schutz von Frauen von familiärer Gewalt. In Europa protection order (d.h. einstweilige Verfügung) und in den USA restraining order genannt, heißt dieses Gesetz aufgrund der patriarchalen Struktur im türkischen Parlament „Gesetz zum Schutz der Familie“.

Im Jahr 1992 nahm Arın an „Women’s Global Leadership”-Seminaren an der Rutgers Universität in New Jersey teil. Der dort entstandene Leitspruch „Frauenrechte sind Menschenrechte“ wurde 1993 auf der VN-Menschenrechtskonferenz in Wien angenommen.

Arın war zwischen 1994 und 1997 zwei Wahlperioden lang im Expert*innenrat des Europarats für die Gleichstellung von Frauen und Männern und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen tätig.

Ende 1990er, Anfang 2000er Jahre war sie Teil von SEELINE, einem Projekt weiblicher Juristinnen aus den Balkanländern zum rechtlichen Status von Frauen in diesen Staaten

An der VN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking nahm Arın als Vertreterin der Frauenhaus­stiftung Mor Çatı teil. Bei der VN- Sondergeneralversammlung Peking +5 in New York 2000 war sie eine der offiziellen Vertreterinnen der Türkei und trug maßgeblich dazu bei, dass die sogenannten Ehren­morde an Frauen zum ersten Mal als Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt wurden.

Aktuell kämpft Arın gemeinsam mit Frauenorganisationen für die Aufrechterhaltung der Istanbul-Konvention.

In zahlreichen Publikationen und Vorträgen thematisierte Arın die Verheiratung von Minderjährigen und Zwangsehen, Kindermissbrauch (geregelt im Paragraph 103 des türkischen Strafrechts), die Wieder­einführung des Gesetzesparagraphen zur Strafaufhebung, wenn Vergewaltiger die Verge­waltigten heiraten, die Formen der Gewalt gegen Frauen sowie die Bemühungen der Regierung, die Rechte von Frauen zu beschneiden und islamisches Familienrecht in die Gesetzgebung einfließen zu lassen.

Arın wurde am 12. März 2017 mit dem Ehrenpreis des Vereins türkischer Universitätsabsolventinnen und am 14. November 2018 mit dem Bruno-Leoni-Freedom-Fighter-Preis in Italien ausgezeichnet.

Sie ist Gründungsmitglied der Ende 2019 entstandenen „Türkischen Theater Stiftung“.

Zusammengefasst führt Arın seit 1980 ihren Kampf für Frauenrechte und gegen Männergewalt gegen Frauen unermüdlich fort – unter anderem als Aktivistin in diversen Protestaktionen, mit Publika­tionen, indem sie Frauen über TV-Sendungen über ihre Rechte informiert und von Gewalt betroffene Frauen ohne Honorar vor Gericht vertritt.