Elterngeld: Fehlanreiz zur Verschiebung des Kinderwunsches – Die Lohnersatzleistung in der Kritik

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Das Elterngeld wird derzeit hitzig diskutiert. Woher kommt es eigentlich und was ist daran ungerecht?

Vor grünem Hintergrund ist eine große gelbe Hand abgebildet, die in einem Anzug zu stecken scheint und eine Geldmünze an zwei kleinere Menschen in roten Hosen und weißen Hemden weitergibt, die ihre Hände nach der Geldmünze ausstrecken.

Absicherung von kindesbetreuenden Elternteilen

Mit der Geburt von Kindern spezialisiert sich häufig eine Person auf die Versorgung der Kinder, die andere auf Erwerbsarbeit zur Finanzierung der Familie. Weil der deutsche Arbeitsmarkt auf einem Geschlechterarrangement basiert, das die Gewährleistung der Fürsorge stillschweigend voraussetzt, entstehen für diejenigen, die die Versorgung übernehmen, Nachteile auf dem Arbeitsmarkt mit den entsprechenden finanziellen Einbußen. Regelmäßig ziehen diese finanziellen Einbußen Armut im Alter nach sich – insbesondere für Mütter, die mehrheitlich die Versorgung von Säuglingen gewährleisten.[1]

Um Anreize zu schaffen, die versorgungsbedingten Erwerbslücken von Müttern infolge der Familiengründung zu reduzieren, wurde im Jahr 2007 mit dem Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) das zuletzt zweijährige Erziehungsgeld durch das einkommensabhängige Elterngeld ersetzt. Während ein Leistungsanspruch auf das Erziehungsgeld 24 Monate in Höhe von 300 Euro bestand, reduzierte sich die Bezugsdauer bei der Beanspruchung des Basiselterngeldes auf 12 plus 2 Partnermonate für Zwei-Eltern-Familien beziehungsweise 14 Monate für Alleinerziehende.[2] Neben dem Sockelbetrag in Höhe von 300 Euro kann das Elterngeld als Lohnersatzleistung in Höhe von 67 bzw. 65 Prozent des netto Individualeinkommens[3] des Vorjahres bezogen werden. Es ist auf einen Betrag von 1.800 Euro monatlich gedeckelt.[4]

Variationen der Elterngeldnutzung

Das Elterngeld kann in unterschiedlichen Variationen in Anspruch genommen werden: Für Zwei-Eltern-Familien besteht die Möglichkeit, mit den Partnermonaten den Bezug des Basiselterngeldes von 12 auf 14 Monate auszudehnen, wenn der zweite Elternteil mindestens zwei Monate ebenfalls den Erwerb familienbedingt unterbricht oder reduziert. Da im Wochenbett durch den Mutterschutz der gebärende Elternteil zwei Monate nach der Geburt erwerbsunfähig ist (§ 3 Abs. 2 MuSchG), können lediglich die verbleibenden 12 Monate Elterngeld zwischen beiden Elternteilen aufgeteilt werden. Das Basiselterngeld kann während der ersten 14 Lebensmonate des Kindes bezogen werden. Dabei kann die Erwerbsarbeit ganz unterbrochen werden oder der elterngeldbeziehende Elternteil kann in Teilzeit mit bis zu 32 Wochenstunden[5] einer Erwerbsarbeit nachgehen. Das erzielte Lohneinkommen wird jedoch beim Elterngeld angerechnet.

Darüber hinaus kann seit dem Jahr 2015 der Bezugszeitraum des Elterngeldes durch das ElterngeldPlus verdoppelt werden, wobei sich der Leistungsanspruch halbiert. Es können einzelne Monate oder die gesamte Bezugsdauer als ElterngeldPlus beansprucht werden. ElterngeldPlus kann also doppelt so lange in Anspruch genommen werden wie Basiselterngeld. Finanzielle Vorteile können sich bei einer Kombination mit einem schnellen beruflichen Wiedereinstieg in Teilzeit ergeben.[6] Darüber hinaus wurde im Jahr 2021 der Partnerschaftsbonus eingeführt. In Zwei-Eltern-Familien können beide Elternteile zwei bis vier Monate ElterngeldPlus zusätzlich in Anspruch nehmen, wenn beide Elternteile gleichzeitig in Teilzeit (zwischen 24 bis 32 Wochenstunden) erwerbstätig sein möchten. Alleinerziehenden steht der gesamte Partnerschaftsbonus zu.[7] Der Geschwisterbonus ermöglicht des Weiteren einen Zuschlag für Mehrkindfamilien.[8]

Das Elterngeld wird beim Bürgergeld, bei der Sozialhilfe und beim Kinderzuschlag als Einkommen angerechnet. Es gibt eine Ausnahme: Alle Elterngeldberechtigten, die Bürgergeld, Sozialhilfe oder Kinderzuschlag beziehen und die vor der Geburt ihres Kindes erwerbstätig waren, erhalten einen Elterngeldfreibetrag bis höchstens 300 Euro.[9]

Elterngeld als Fehlanreiz zur Verschiebung des Kinderwunsches

Das politische Steuerungsziel einer raschen Erwerbsintegration des betreuenden Elternteils erfolgt durch eine Begrenzung des Zeitfensters, das für die Versorgung von Säuglingen und Kleinkindern vorgesehen ist. Nachteile, die vor allem Müttern durch eine ausgedehnte Erwerbsunterbrechung drohen, sollen dadurch verringert werden. Die Partnermonate sollen zudem bewirken, dass in hetero-Konstellationen Väter verstärkt in die Erziehung ihrer Kinder einbezogen werden.[10] Mit Konzipierung als Lohnersatzleistung wie sie seit 2007 vorgenommen wird, erfolgt jedoch auch eine Umverteilung zugunsten einkommensstarker Eltern. Es kommt vor allem den Eltern zugute, die ohnehin gut verdienen. Am stärksten benachteiligt sind Empfänger*innen von ALG II, deren Elterngeld erst um die Hälfte gekürzt und ab 2011 komplett bei der Bedarfsgemeinschaft angerechnet wurde.

Da mit dem Basisbetrag des Elterngeldes in Höhe von 300 Euro pro Monat der Lebensunterhalt nicht bestritten werden kann, ergeben sich für prekär beschäftigte oder erwerbslose Eltern in Elternzeit häufig existenzielle Probleme. Um Elterngeld als Lohnersatzleistung in einer Höhe beziehen zu können, mit der die Lebenshaltungskosten (trotz Inflation) bezahlt werden können, ist der Aufbau einer Karriere erforderlich. Für arbeitslose Personen, Personen in Teilzeit, aber auch Personen in Ausbildung oder mit Stipendien ist das Elterngeld zu niedrig. Das berufliche Fortkommen bis zu einem Einkommen, bei dem das Elterngeld existenzsichernd ausfällt, erfordert oft viele Jahre, mit steigendem Alter sinkt aber die menschliche Fertilität. Ein Aufschieben des Kinderwunsches bewirkt häufig, dass Kinderwünsche nicht mehr realisiert werden können – oder aber lediglich durch die Inanspruchnahme assistierter Reproduktionsbehandlungen. Das Elterngeld als Lohnersatzleistung muss daher als Fehlanreiz zur Verschiebung des Kinderwunsches kritisiert werden.

Stattdessen sollte das Elterngeld für alle gleich hoch ausfallen und sich als voller Lohnausgleich am Durchschnittseinkommen von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland orientieren.


Mehr über diesen Vorschlag zum Elterngeld gibt es in unserem aktuellen Policy Paper "Finanzierung von Familien neu denken: Kindergrundsicherung und Elterngeld" der Reihe Körper, Kinder Kassensturz.

 

Literaturverzeichnis

BMFSFJ (2023): Elterngeld, in: Familienportal, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/familienleistungen/elterngeld/elterngeld-73752 (Stand: 26.05.2023).

Haller, Lisa Yashodhara (2021): "Elternzeit...das gönn ich mir!" Wie junge Mütter fürsorgebedingte Arbeitsmarktaktivierung vor dem Hintergrund einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik verarbeiten. In: Helga Krüger-Kirn, Leila Zoe Tichy (Hrsg): Elternschaft und Gender Trouble. Geschlechterkritische Perspektiven auf den Wandel von Familie. Opladen: Barbara Budrich Verlag, S. 40-58.

Haller, Lisa Yashodhara (2018): Elternschaft im Kapitalismus. Staatliche Einflussfaktoren auf die Arbeitsteilung junger Eltern, Frankfurt a.  M./New York: Campus Verlag.

Henninger, Annette/Wimbauer, Christine/Dombrowski, Rosine (2008): Geschlechtergleichheit oder „Exklusive Emanzipation“? Ungleichheitsoziologische Implikationen der aktuellen familienpolitischen Reformen, in: Berliner Journal für Soziologie 18 (1), S. 99-128.

Pfahl, Svenja/Reuyß, Stefan (2022): Reformvorschläge für die Ausgestaltung des Elterngeldes. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/19221.pdf (Stand 21.05.2023).

 

 

[1] Vgl. Haller 2021, S. 40.

[2] Mit der Umstellung von einer Transfer- zu einer Lohnersatzleistung stellte das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit für einkommensschwache Eltern einen tiefgreifenden Einschnitt bei der Existenzsicherung der Familie dar (vgl. Henninger/Wimbauer/Dombrowski 2008, S.  3).

[3] Bei Voreinkommen zwischen 1.000 und 1.200 € ersetzt das Elterngeld das nach der Geburt wegfallende Einkommen zu 67 %. Für einkommensschwache Eltern mit einem Einkommen unter 1.000  € vor der Geburt des Kindes steigt die Ersatzrate schrittweise auf bis zu 100 %: Je geringer das Einkommen, desto höher die Ersatzrate. Für Nettoeinkommen ab 1.200  € und mehr vor der Geburt des Kindes sinkt die Ersatzrate des Elterngeldes moderat von 67 auf 65 % (vgl. Haller 2018, S.  131).

[4] Vgl. BMFSFJ 2023.

[5] Bei Kindern, die vor dem 01.09.2021 geboren wurden, bis zu 30 Wochenstunden (vgl. BMFSFJ 2023).

[6] Vgl. BMFSFJ 2023; vgl. Pfahl/Reuyß 2022, S. 4.

[7] Vgl. BMFSFJ 2023.

[8] Der Geschwisterbonus beträgt 10  % des zustehenden Elterngeldes (mindestens 75  € bei Basiselterngeld, 37,50  € bei ElterngeldPlus), der Mehrlingszuschlag beträgt 300  € (150  € ElterngeldPlus) für jedes weitere Kind (vgl. BMFSFJ 2023.).

[9] Vgl. BMFSFJ 2023.

[10] Vgl. Haller 2018, S.  132.