In den aktuellen Diskussionen im Zusammenhang mit der Debatte um die „Zukunft der Arbeit“ ist auch die Care-Ökonomie diskussionswürdig geworden. „Der Begriff Care-Ökonomie bezieht sich auf alle bezahlt und unbezahlt geleisteten Tätigkeiten, bei denen Menschen für andere sorgen oder für die alltägliche Versorgung anderer Menschen zuständig sind. Diese Tätigkeiten beziehen sich auf die Umwandlung von standardisierten und industrialisierten Gütern und Dienstleistungen für einen den unterschiedlichsten Bedürfnissen angepassten täglichen Verbrauch innerhalb und außerhalb des Haushalts, auf das Aufziehen von Kindern, auf die Pflege von Menschen und andere Formen von Beziehungsarbeit. All diese Tätigkeiten und die Art und Weise, wie sie getan werden, machen einen wesentlichen Teil des Lebensstandards einer Gesellschaft aus“ (Madörin 2001). Die Arbeitsabläufe für die Care-Ökonomie sind weit weniger planbar als im übrigen Produktionsbereich. Mascha Madörin kritisiert, dass auf Grund der Borniertheit der Wirtschaftstheorien das ökonomische Merkmal „care“ also „Sorge“, in Statistiken nicht berücksichtigt wird, deshalb könne auch der Zeitanteil, der auf solche Tätigkeiten entfällt, nur geschätzt werden.
Das Private bleibt Privatsache
Schilliger (2010) führt diese Nichtbeachtung in der Statistik vor allem darauf zurück, dass diese Arbeiten – trotz der Forderungen der Neuen Frauenbewegung „Das Private ist politisch“ – als „Privatsache“ taxiert werden – jedenfalls so weit es sich um unbezahlte Care-Arbeiten handelt. Das hängt mit einem verengten Arbeitsbegriff und einem noch engeren Verständnis von Ökonomie zusammen. Die Haus-, Pflege- und Sorgeökonomie und ökonomische Prozesse in der informellen Ökonomie oder im „Non-Profit-Bereich“ bleiben überwiegend unberücksichtigt. Wenn Care-Ökonomie nicht nur für eine „sekundäre Ökonomie“, sondern für „das Ganze“ betrachtet werden soll, wird es notwendig, den Blick auf die „Arbeit als Ganzes“ zu richten (Notz 2005). Das heißt, Arbeit ist nicht nur als die instrumentell gebundene, mehr oder weniger gut entlohnte zielgerichtete Tätigkeit in Produktion und Dienstleistung zu verstehen, sondern Arbeit findet ebenso außerhalb der Lohnarbeit (oder einer anderen das Einkommen sicherstellenden Erwerbsarbeit) statt. Arbeit ist auch Haus- und Sorgearbeit, Erziehungsarbeit, Pflegearbeit für Alte, Kranke und Behinderte, unbezahlte Konsumarbeit, Subsistenzarbeit, bürgerschaftliches Engagement, ehrenamtliche politische, soziale und kulturelle Arbeit, unbezahlte Arbeit in Selbsthilfegruppen und andere „Gratisarbeit“. Diese Arbeiten werden traditionell nicht unter den Begriff Arbeit subsumiert, weil sie dem „Reich der Freiheit“, das dem „Reich der Notwendigkeit“ entgegengesetzt wird (1), zugeordnet sind. Sie werden jenseits der materiellen Produktion geleistet und werden aufgrund der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung immer noch wesentlich von einem Geschlecht erwartet und auch meist erbracht. Wir leben in einer Gesellschaft, die eine ungleiche Verteilung von bezahlt und unbezahlt geleisteter Arbeit, von Wohlstand und Teilhabe hervorbringt. Diese ungleiche Verteilung sowie die Trennung von unbezahlter und bezahlter Arbeit hat erheblichen Einfluss auf die geschlechtshierarchischen Beziehungen.
Blick auf die gesamte Ökonomie
Ein Arbeitsbegriff, der sich auf die Analyse des gesamten Spektrums von Arbeit bezieht, unabhängig von der Entlohnung, muss auch von verschiedenen Arbeitsorten ausgehen: Neben Industriebetrieben, kleinen und mittleren Unternehmen, Verwaltungen und Projekten und Betrieben aus der Alternativökonomie sind das Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich, Wohlfahrtsorganisationen, Vereine und Verbände, die bürgerschaftliches Engagement und ehrenamtliche Arbeit organisieren, Projekte der sozialen Bewegungen und freilich auch Familien oder andere Wohn- und Lebensgemeinschaften, in denen Haus- und Sorgearbeit organisiert wird. Ein solcher Arbeitsbegriff erfordert einen erweiterten Begriff von Wirtschaften, der Erwerbs-, Gemeinwesen-, Versorgungs-, Subsistenz- und Haushaltsökonomie einschließt und gleichgewichtig betrachtet. Es geht also nicht nur um einen neuen Arbeitsbegriff, sondern um einen neuen Begriff von Wirtschaft, der alle ökonomischen Bereiche beinhaltet, den Aufbau gemeinschaftlicher, kollektiver Strukturen, in denen die Menschen wieder selbstverantwortlich tätig werden können, als wichtige Arbeit berücksichtigt und den Zusammenhang zwischen unbezahlter und bezahlter Arbeit herstellt sowie die Trennung zwischen ökonomischen und (scheinbar) außerökonomischen Bereichen überwindet. Die bestehenden Geschlechterverhältnisse sind so strukturiert, dass die in der Familie und anderen Lebensformen sowie sozialen Organisationen geleistete unbezahlte Arbeit (meist Frauenarbeit) Marktaktivitäten (meist Männerarbeit) überhaupt erst möglich macht. Andererseits sind die bezahlt geleisteten Marktaktivitäten Voraussetzung für die angebliche Unbezahlbarkeit der Haus-, Sorge- und Fürsorgearbeiten. Wesentliche wirtschaftliche Zusammenhänge können daher nicht verstanden werden, wenn der Blick nicht auf die gesamte Ökonomie und die Arbeit als Ganzes gerichtet wird und wenn die unterschiedlichen Arbeits- und Lebenssituationen von Frauen und Männern in den verschiedenen Bereichen nicht in Betracht gezogen werden. Auch die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit findet nicht alleine im Innern der Fabrik statt.
Care-Arbeit bleibt Frauensache
Care-Ökonomie wird in ihrer bezahlt und unbezahlt geleisteten Form hauptsächlich durch Frauen geleistet. Sie wird in der Zukunft noch weiter zunehmen, denn die Problemlagen und damit die Zahl derjenigen, die der Hilfe bedürfen, werden sowohl innerhalb der bezahlten Arbeit als auch der unbezahlten Arbeit angesichts der aktuellen globalen Krise zunehmen. Die Schäden und Risiken, die das kapitalistische System in Form von Erwerbslosigkeit und Armut produziert, werden nur ungenügend durch den Wohlfahrtsstaat kompensiert und eine immer mehr nach ökonomischen Effizienzkriterien ausgerichtete Soziale Arbeit und Pflegearbeit kann den wachsenden Ansprüchen nicht gerecht werden. Madörin schätzt, dass in der Schweiz vier Fünftel der gesamten Arbeitsstunden von Frauen auf Care-Arbeiten entfallen, bei den Männern sind es zwei Fünftel. Etwa ein Zehntel der Erwerbsarbeitsstellen der Männer gehören zur Care-Ökonomie, bei den Frauen etwa ein Drittel. Das unbezahlte Volumen ist in der Schweiz siebenmal größer als das bezahlte. Das ist in der BRD nicht anders. Für das unbezahlte Arbeitsvolumen wird mit dem Ruf nach Gemeinsinn geworben, das bezahlte fällt mehr und mehr dem Sozialabbau zum Opfer oder wird mit Niedrigstlöhnen entwertet (1€-Jobs und Bürgerarbeit). Die unbezahlten Care-Arbeiten nehmen in dem Maße zu, wie sie im bezahlten Bereich abgebaut werden. Aus dem siebten Familienbericht der Bundesregierung geht es deutlich hervor: Wir stehen vor einer „kopernikanischen Wende“ bezüglich der Gestaltung von „Care“, weil die Rückkehr zur ehemaligen Geschlechterlösung des Ernährermodells in demokratischen Gesellschaften nicht mehr möglich sei. Konstatiert wird dennoch: „Diese Entwicklungen [Zunahme der Care-Arbeit] betreffen immer noch vorrangig den weiblichen Part in der Familie, wiewohl die Beteiligung der männlichen Seite langsam zunimmt“ (BMFSFJ 2006, S. 170). Frauen werden also trotz zunehmender Erwerbstätigkeit weder vom Staat noch von den Männern von der enormen Gratisarbeit entlastet. Der Ausbau einer öffentlichen Care-Infrastruktur bleibt aus.
Rückkehr der Dienstbotinnen
Verbreiteter scheinen, zumindest für besser verdienende Familien, neue Dienstbotinnenmodelle, durch die weiße deutsche Frauen auf Kosten von Frauen, die illegalisiert leben oder aus den armen Ländern der Welt kommen, begünstigt werden. Das ist eine schlechte Lösung des Problems, denn so werden auch diese Arbeiten weiter privatisiert. Care-Arbeit wird kommerzialisiert und verwandelt sich zu einer äußerst schlecht bezahlten Ware, die man auf dem Dienstleistungsmarkt „einkaufen“ kann. Das führt nicht nur zur Beibehaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sondern auch zu neuen Unterschichtungen (auch) unter Frauen. Was Lily Braun bereits um die Jahrhundertwende schrieb, gilt auch heute noch: „Der Arbeiter verkauft einen, wenn auch den allergrößten Teil seiner Arbeitskraft, der Dienstbote verkauft seine Person“ (Braun 1979, S. 46). Und heute gibt es keine Dienstmädchenvereine, die – wie im Zusammenhang mit der „alten“ Frauenbewegung – für mehr Rechte dieser extrem ausgebeuteten Frauen kämpfen. Die Frage, ob unter emanzipatorischen Gesichtspunkten eine Ausweitung des Beschäftigungsfelds von DienstbotInnen überhaupt wünschenswert ist, wird nicht mehr diskutiert, im Gegenteil: Die Rückkehr der Dienstbotengesellschaft wird als Innovation gefeiert. Dass die Pflege von hilfsbedürftigen Menschen und die Erziehung von Kindern professionell gut ausgebildetes Personal, das dann auch entsprechend zu entlohnen ist, voraussetzt, wird dabei total außer Acht gelassen, ist aber eine Binsenweisheit.
Wenn die Rollenaufteilung zwischen Haupternährer und Hausfrau bzw. Zuverdienerin in kleinfamilialen Lebensformen nicht, bzw. nur auf Kosten anderer Frauen aufzuweichen sind, wird es notwendig, die Kritik an der kleinfamilialen Lebensform, wie sie Anfang der 1970er Jahre (in der BRD) geführt wurde ebenso zu diskutieren wie die Kritik an der betrieblichen Arbeitsorganisation und am Arbeitsbegriff.
Teilzeit-Care-Arbeiterinnen
Für Menschen in weniger gut verdienenden Lebensformen ist das Modell ohnehin nicht möglich. Sie erledigen die unbezahlte Care-Arbeit neben der bezahlten Arbeit, oft auf Kosten der eigenständigen Existenzsicherung. Die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt vollzog sich in den letzten Jahrzehnten vor allem über die Ausweitung von Teilzeitarbeitsverhältnissen und ungeschützten (prekären) Arbeitsverhältnissen. Und dort wo frau (oder man) vom Ertrag der Arbeit einigermaßen leben könnte, wird nur ganz selten geteilt. Die meisten Teilzeit arbeitenden Frauen arbeiten im Dienstleistungssektor (oft auch dort mit hohem Anteil an Care-Arbeit) und vor allem in Bereichen mit hohem Leistungsdruck und einem nicht existenzsichernden Einkommen. Staatliche Maßnahmen wie Ehegattensplitting und das für 2013 von der Bundesregierung vorgesehene „Betreuungsgeld“ fördern die - zumindest vorübergehende – Übernahme der gesamten unbezahlten Care-Arbeit durch Frauen. Das Betreuungsgeld dient nicht – wie propagiert – der Wahlfreiheit, weil Wahlmöglichkeiten in Form von Ganztagsbetreuung für Kinder nur unzureichend zur Verfügung stehen. Durch den Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit von vor allem Frauen nach der Geburt eines Kindes verfestigen sich traditionelle Rollenmuster zwischen Mutter- und Hausfrauenrolle und Vater- und Erwerbsarbeitsrolle in der Kleinfamilie. Alleinerziehende, Lebensformen außerhalb der Kleinfamilie und Eltern, die ihre Kinder in Einrichtungen betreuen lassen, weil sie einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen und weil sie es als notwendig und richtig erachten, dass Kinder von ausgebildeten Bezugspersonen profitieren und im Miteinander soziale Kompetenzen erwerben können, werden diskriminiert.
Perspektiven
Konstruktive Kritik an traditionellen Wirtschaftskonzepten und an der kapitalistisch-patriarchalen Arbeitsgesellschaft kann nur unter den Bedingungen einer Zielvorstellung, also einer Vorstellung vom anderen, besseren Leben und von sinnvoller Lebens-Arbeit erfolgen. Schließlich geht es um die Aufhebung der entfremdeten Arbeit in allen Arbeitsbereichen und um die Teilhabe von Männern und Frauen am ganzen Leben. Der Kritikbegriff muss daher mit einem neuen Utopiebegriff zusammengebracht werden. Es gilt der Frage nachzugehen, wie und mit welcher Zielvorstellung wir in der Zukunft (zusammen) leben und (gemeinsam) arbeiten wollen. Ziel wäre eine Arbeit, die so gestaltet ist, dass Erwerbsarbeit, Hausarbeit und die Arbeit im sozialen, politischen, kulturellen, künstlerischen und gemeinwesenorientierten Bereich kollektiv organisiert und gleich wichtig sind und Arbeit, care und Verantwortung gleichermaßen auf Männer und Frauen verteilt sind. Wunschvorstellung ist es, alle diese Arbeiten zeitlich, räumlich und inhaltlich in Einklang zu bringen und damit die Trennung zwischen den Bereichen der verschiedenen Arbeitsformen und der ‚Nicht-Arbeit’ aufzuheben. Ansätze für eine derart organisierte Arbeit finden sich heute bereits in Betrieben und Projekten der Alternativ- und Genossenschaftswirtschaft.
(1) Karl Marx formulierte diese Trennung eindeutig: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion“ (MEW Bd. 25, Berlin 1978, S. 828).
Foto: privat
Dr. Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin. Sie war von 1985 bis 1997 Redakteurin der Zeitschrift "beiträge zur feministischen theorie und praxis" und arbeitet derzeit in der Redaktion bei "LunaPark21". Frau Notz war bis 2007 als Referentin für Frauenforschung im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn und zugleich als Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Sozial-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik, historische Frauenforschung und alternative Ökonomie.
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