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Europäische Politiken im Zuge der Globalisierung von Pflegearbeit

Spinnennetz mit Wassertropfen
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As a result of the increasing outsourcing of care work from the private, unpaid area, transnational care chains arising


1. Transnationale Migration, „Care Drain“ und die Folgen für Herkunfts- und Aufnahmeländer

Die zunehmende Integration von Frauen in den Arbeitsmärkten wird begleitet von der Krise der Sorgesysteme und der Entstehung von Arbeitsmärkten für Care-Arbeit. Zunehmend emigrieren Frauen, um in reicheren Ländern bezahlte Care-Arbeit zu leisten und mit ihrem Verdienst die Lebensbedingungen ihrer Familien zu verbessern. Ihre eigenen Care-Pflichten werden von anderen Frauen übernommen, so dass Sorgeketten aus Beziehungen zwischen Care-Arbeiterinnen im globalen Norden und Care-Arbeiterinnen im globalen Süden entstehen (Hochschild 2001). Nach der Definition des UN-INSTRAW-Projektes sind Sorgeketten transnationale Netwerke, welche die Reproduktion des Alltags ermöglichen. Sie bestehen aus Haushalten, die Care-Aufgaben auf andere Haushalte entlang machtbestimmter Axen wie Ethnizität, soziale Klasse und Herkunftsland übertragen (Perez Orozco 2009a, 2009b).

Der Sorgekettenbegriff ist eine Metapher, welche die Verschiebung sozioemotionaler Ressourcen von den Ländern des globalen Südens hin zu den Ländern des globalen Nordens verdeutlicht. Für das Verständnis dieser Verschiebungen ist der Begriff der sozioemotionalen „Commons“ (Widding Isaksen, Sambasivan und Hochschild 2009) hilfreich. Sozioemotionale Commons sind emotionales Kapital, das in einer Gemeinschaft ausgetauscht wird und von dem alle Mitglieder der Gemeinschaft profitieren. Sie sind gemeinschaftliches Gut und gründen auf dem Prinzip „generalisierter Reziprozität“. Globale Fürsorgeketten wären demnach in sozioemotionalen Beziehungsnetzen und Gemeinschaften des Gebens und Nehmens im globalen Süden verankert. Durch die Abwanderung der Mütter verliert die Gemeinschaft im Herkunftsland einen Teil ihrer sozio-emotionalen Ressourcen. Die Gesellschaften des Nordens decken ihren Bedarf an Care und sichern ihre Reproduktion, indem sie das Care-Kapital des Südens aneignen. Die Sorgeketten spiegeln auf diese Art und Weise ein koloniales Verhältnis wider, in dem, anstelle von Rohstoffen ein soziales Gut, nämlich emotionale Arbeit, von den Ländern des globalen Nordens (billig) angeeignet wird. Die entwickelten Länder akkumulieren ein Care Surplus, während die weniger entwickelten ein Care Drain (Hochschild 2001, Hochschild und Ehrenreich 2004) und damit eine verschärfte Care-Krise (Parreñas 2001) erfahren.

Damit untergräbt der Care-Arbeitsmarkt des globalen Nordens die gesellschaftliche Solidarität in den Ländern des globalen Südens. Die in der Reproduktionsfähigkeit der Ursprungsgesellschaften entstehende Lücke zeigt sich am deutlichsten in den Änderungen,  die die Beziehung der migrierenden Mütter zu ihren Kindern erfährt. Mit dem Konzept des Transfers von sozio-emotionalen Ressourcen im Zuge der Sorgeketten, haben Widding Isaksen, Sambasivan und Hochschild (2009) gezeigt, dass die Kosten der Migration nicht nur als private Kosten des einzelnen Gemeinschaftsmitgliedes, sondern als Kosten der Gemeinschaft und somit als ein sozialpolitisches Problem verstanden werden müssen. Gerade die Auswirkung der Migration der Mütter auf die psychosoziale Entwicklung der Kinder wird aber kontrovers diskutiert. Die „transnationale Mutterschaft“ weist besondere Spezifika auf (Hondagneu-Sotelo und Avila 1997, Parreñas 2001, Shinozaki 2003, Lutz 2007). Auch wenn die Kinder von anderen Personen versorgt werden, die Beziehung der abwesenden Mutter zu ihren Kindern bleibt lebendig und wird unter den Bedingungen der geographischen Entfernung gepflegt. Die Mutter-Kind-Beziehung wandelt sich von der direkten Versorgung des Kindes zur Versorgung mit Geld für die Aufrechterhaltung eines angemessenen Alltags und einer guten Bildung. Liebe wird mit Sachgeschenken ausgedrückt, so dass eine „kommodifizierte Mutterschaft“ entsteht (Parreñas 2001).

Neben der Feststellung der problematischen Auswirkungen der Abwesenheit der Mütter auf die psychosoziale Entwicklung der Kinder (Parreñas 2004, Hondagneu-Sotelo und Avila 1997), bringen andere Forscherinnen Beweise für eine gelungene Adaptation der Familien an die Migration der Mütter und die Entstehung neuer familiärer Arrangements (Gamburd 2000). Denn die Frage der möglichen Belastungen der Kinder setzt feministische Forscherinnen unter Legitimationsdruck, da diese Frage zur Bestärkung von Geschlechterstereotypen instrumentalisiert werden kann (Widding Isaksen, Sambasivan und Hochschild 2009).

2. Sorgeketten und die Entstehung von Machthierarchien zwischen Frauen

Im Rahmen von Sorgeketten entstehen zwischen den beteiligten Frauen komplexe Beziehungen von sozialer Macht und Ohnmacht. Als Arbeitsplatz ist der Haushalt ein Ort der Überlappung vom Privaten und Öffentlichen. Die daraus entstehende paradoxe Gleichzeitigkeit von professioneller Distanz und Intimität gestaltet das Verhältnis der Arbeitgeberin zur Migrantin mehrdeutig (Anderson 2007). Dominant gewordene und verinnerlichte egalitäre Gesellschaftsbilder machen für die Arbeitgeberinnen den Umgang mit den Klassendifferenzen, die der Arbeitsplatz Haushalt hervorbringt, problematisch. Eine häufige Bewältigungsstrategie ist daher die Umdefinierung der Klassendifferenz zu einer Ethnizitäts- und Kulturdifferenz (Lutz 2007). Eine andere Strategie ist die Umdeutung des Beschäftigungsverhältnisses zu einem Akt der Unterstützung arbeitsuchender Migrantinnen (Anderson 2005).

Die Klassenpositionierung der Migrantinnnen gestaltet sich auch widersprüchlich. Meistens bedeutet die Migration in die Fürsorgesysteme einen sozialen Abstieg für die Migrantinnen. Mittelschichtpositionen, akademische Qualifikationen und einschlägige Arbeitserfahrungen werden gegen die Care-Arbeit in den reicheren Ländern ausgetauscht, weil die Einkünfte aus der qualifizierten Arbeit im Herkunftsland für die Deckung der Lebenshaltungskosten der Familie nicht ausreichen. Der faktische soziale Abstieg in einem sozial minderbewerteten Job, wird gleichzeitig begleitet durch höhere Verdienste und stellt so, im sozialen Kontext der Herkunftsgesellschaft, einen sozialen Aufstieg dar. Verstärkt wird der widersprüchliche, heterotope soziale Aufstieg durch die Tatsache, dass die in der Care arbeitende Migrantin selbst in der Situation der Arbeitgeberin gegenüber derjenigen Frau/Migrantin befindet, welche die bezahlte Versorgung ihrer Kinder im Herkunftsland übernommen hat (Shinozaki 2005).

Während die Migrantin und ihre Arbeitgeberin in mit Macht extrem ungleich ausgestatteten Rollen gegenübertreten, und die Frauen durch das Machtgefälle des spezifischen Arbeitsverhältnisses getrennt werden, entwickeln sich unter den Frauen im Herkunftsland Beziehungen der Konsolidierung. Migrantinnen richten Ihre Geldüberweisungen an andere Familienfrauen, weniger an Männer. Als Ernährerinnen und Sorgende erfahren Frauen eine Rollenakkumulation, bei gleichzeitigem Aufgabenverlust der Männer. Denn Männer übernehmen weniger Verantwortung für die Sorge der Kinder und sind weniger am Prozess beteiligt. Damit findet im Herkunftsland faktisch eine Stärkung der Frauen als Kollektiv statt (Anderson und Phisackela o.J.).

3. Der „Care-Diamond“: die Einbettung von Sorgeketten in staatliche, marktförmige und nicht-marktförmige Strukturen

Eingebettet in Care-Regimes, die staatliche, marktförmige und gemeinnützige Strukturen enthalten, sind Sorgeketten komplex und vielfältig (Yeates 2005). Um diese Einbettung zu verdeutlichen, haben Forscherinnen die Metapher des „Care Diamond“ benutzt. In den vier Eckpunkten des „Fürsorge-Diamanten“ befinden sich jeweils die Familien und Haushalte als Hauptquelle von Fürsorge, die Märkte, die Sorgedienstleistungen organisieren, die Wohlfahrtsorganisationen des Dritten Sektors, die eine Mischung aus bezahlten und unbezahlten Sorgedienstleistungen anbieten, und schließlich der Staat, der formale Sorgedienstleistungen durch das Schulsystem und das Gesundheitssystem anbietet und Grundlagen für den Kauf von Sorgedienstleistungen durch die Sozialversicherungssysteme schafft (Kofman und Raghuram 2009). Die Grenzen dieser Eckpunkte sind nicht immer abgeschottet und sowohl innerhalb der „Eckpunkte“ als auch zwischen diesen finden komplexe Prozesse statt, die Überlappungen und Mischungen produzieren. Zum Beispiel werden innerhalb der Familien häufig Care-Bedürfnisse durch Leistungen befriedigt, die auf dem Markt, zum Beispiel von migrantischen Arbeitskräften, gekauft werden und zwar unter Bedingungen, die nicht nur der Markt, sondern auch staatliche Regelungen, unter anderem migrationsspezifische Regelungen, diktieren. Der „Care-Diamant“ macht in dieser Weise auf den komplexen Gesamtzusammenhang, in den Care-Arbeit eingebettet ist, aufmerksam.

4. Das Policy-Umfeld der Sorgeketten: Das Beispiel Deutschland

Die Arbeit der Migrantinnen in der Sorge- und Hausarbeit findet im Kontext von familiären, staatlichen, marktlichen und nichtmarktlichen Non-Profit-Arrangements statt. In Deutschland führen diese Arrangements zur Haus- und Sorgearbeit im Schattenbereich informeller Arbeitsverhältnisse und irregulärer Migrationsprozesse. Sozialpolitische Versuche, durch Steueranreize (etwa Steuerfreibeträge für Ausgaben für haushaltsnahe Dienstleistungen) und die Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung die Arbeitsverhältnisse zu formalisieren, hatten bis jetzt nur wenig Erfolg. (Kontos et al. 2006).

Betrachten wir das große Segment der migrantischen Care-Arbeit in der häuslichen Altenpflege, so stellen wir fest, dass der informelle Bereich der Care-Arbeit in der Altenpflege von einer Reihe rechtlicher Regelungen, die Ausschnitte des Care-Arrangements regeln, umrahmt wird. Zum Beispiel geht das Pflegeversicherungsgesetz davon aus, dass Pflege nicht von bezahlten Arbeitskräften, sondern von Familienangehörigen ausgeführt wird. Mit der Erweiterung der arbeitsfreien Pflegezeiten und der neuesten Reform des Erbschaftsrechts („Wer pflegt, der erbt“) sollen Familienangehörige für die Pflege älterer Menschen mobilisiert werden. Die zentrale Rolle der Arbeit der Migrantinnen für die Aufrechterhaltung von Care in diesem Bereich bleibt unsichtbar und unberücksichtigt. Erst durch öffentlichen Druck ist 2002 die offizielle  Anwerbung von Migrantinnen für die Arbeit in Haushalten mit pflegebedürftigen Personen ermöglicht worden. Jedoch nur eine kleine Anzahl von Migrantinnen konnte dadurch legalisiert/angestellt werden, da die Kosten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung die finanziellen Möglichkeiten der meisten Haushalte übersteigen (Kontos und Shinozaki 2010, Frings 2009).

Der Care-Diamant macht auch aufmerksam auf verschiedene Kombinationen von rechtlichen Bedingungen, die verschiedene Formen von Sorgeketten hervorbringen können. Ein Beispiel ist die Struktur der Sorgeketten, welche in der innereuropäischen Migration in der Folge des Zusammenbruchs der sozialistischen Ökonomien entstanden sind. In Deutschland versuchen Care-Arbeiterinnen aus den Ländern Osteuropas durch die Selbstorganisierung der Arbeit in einer geordnet rotierenden Abwechslung mit anderen Migrantinnen eine Balance zwischen bezahlter Care-Arbeit und eigenen (unbezahlten) Care-Pflichten zu finden. Es entstehen in regelmäßigen Abständen „unterbrochene“ Sorgeketten: drei Monate bezahlte Sorge/Pflegearbeit in Deutschland, anschließend drei Monate Verbleib im Heimatland, während eine Landsmännin die Arbeit in Deutschland übernimmt, und wieder zurück. Die zeitweise Aufrechterhaltung der traditionellen Care-Funktion der Mutter in der eigenen Familie ist damit gesichert (Metz-Göckel et al 2008). Notwendige Rahmenbedingungen für diese Art von Sorgeketten sind außer der geographischen Nähe, die Erschwinglichkeit der Reisekosten und die Möglichkeit der Grenzüberquerung, das heißt die geltenden Migrationsregelungen. Ähnlich haben Migrantinnen aus der Ukraine, die in Polen in der Sorgearbeit tätig sind, einen dreimonatigen Rotationsrhythmus entwickelt, der nicht nur von den eigenen Care-Pflichten, sondern auch von geltenden Visa-Bestimmungen diktiert ist (Slany et al. 2007). Im Kontrast dazu, richten sich Migrantinnen aus geographisch entfernten Ländern oder aus Ländern mit Einreisehindernissen auf eine langjährige Abwesenheit von ihren Familien ein. Sorgeketten sind in diesen Fällen kontinuierlich und von längerer Zeitdauer. Somit erweisen sich die „unterbrochenen“ Sorgeketten als Ausdruck einer gewissen Autonomie der Migrantinnen und des kreativen Umgangs mit dem Dilemma zwischen der Notwendigkeit, im Ausland zu arbeiten, und dem Bedürfnis, für die eigene Familie sorgend präsent zu sein.

Seit der EU-Osterweiterung in 2004 haben sich die rechtlichen Bedingungen der Beschäftigung von osteuropäischen Migrantinnen in der Pflege verändert. Auf der Basis der EU-Dienstleistungsdirektive wurde es möglich, dass trotz Aufschiebung der Freizügigkeit von Bürgern und Bürgerinnen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten auf das Jahr 2011 ein großer Teil der bis 2004 irregulär in der Altenpflege in Deutschland tätigen osteuropäischen Migrantinnen nun legal als „Entsandte“ von Firmen, die in den neuen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind, arbeiten. Ihre Entlohnung übersteigt nicht das Entlohnungsniveau irregulärer Beschäftigung, und sie sind aus den im Inland geltenden arbeitsrechtlichen Regelungen sowie aus der gewerkschaftlichen Vertretung faktisch ausgeschlossen. Damit sind durch die EU-Erweiterung Migrantinnen in der Care-Arbeit zwar legalisiert, ihre schlechten Arbeitsbedingungen und die niedrige Entlohnung sind jedoch nicht abgeschafft. Viele der „entsandten“ Arbeitskräfte arbeiten in Deutschland in dem Dreimonatsrhythmus, der auch von den irregulären Migrantinnen praktiziert wurde und wird (Frings 2009). Die neue Situation hat also nichts an dem spezifischen Charakter der zeitlich unterbrochenen Sorgeketten, die sich etabliert haben, geändert.

5. Politische Rahmenbedingungen in den Herkunftsländern

Für viele der Heimatländer sind die Rücküberweisungen der Migranten und Migrantinnen eine wichtige Einnahmequelle. Auf den Philippinnen betragen die Rücküberweisungen der Migranten und Migrantinnen 5,2 Prozent des Bruttosozialprodukts (O’ Neil 2004). Im offiziellen Diskurs ist die in der Care-Arbeit im Ausland tätige Filipina eine „nationale Heldin“. Sie sorgt mit ihrem entbehrungsreichen Leben und durch ihre Geldüberweisungen nicht nur für die ökonomische Existenz ihrer Familie, sondern auch für die Stabilisierung der Ökonomie (Shinozaki 2008).

Neben dem „heroischen“ Diskurs ist in den Herkunftsländern jedoch auch ein diametral entgegengesetzter abwertend-moralisierend migrationskritischer Diskurs entstanden, der die Migrantinnen eher als konsumgeleitet, als „Deserteurinnen“ aus schweren Lebensbedingungen darstellt. In den polnischen Medien weist die heftige Kritik gegen die Migration nach Westeuropa auf die „Euro-Waisen“ hin, jenen Kindern, deren Mütter/Eltern nach  Westeuropa gegangen sind und die von Verwandten versorgt werden oder in Waisenhäusern untergebracht sind. Diese Diskurse sind nicht nur stark an die sozialen Kräfteverhältnisse und Interessen gebunden als auch an Vorstellungen über die Rollen der Geschlechter, sondern sind auch eingebettet in größere politische Projekte gesellschaftlich-ökonomischer Entwicklung. Der migrationskritische Diskurs in Polen ist beispielsweise auch Kapitalismuskritik gegenüber den Folgen der Transformation der ehemals sozialistischen Gesellschaften (Shinozaki 2008).

Wegen der ökonomischen Bedeutung der Rücküberweisungen haben viele Regierungen eine Politik der Unterstützung der Auswanderung entwickelt. Manche Länder haben Vorkehrungen getroffen, um die Migrantinnen für die Arbeit im Ausland vorzubereiten. Beispiel ist das Programm von Sri Lanka „From Sri Lanka to Tuscany“,  das in Kooperation mit der IOM Frauen einen Italienischkurs anbietet, zur „persönlichen Pflegeassistentin“ qualifiziert und die Frauen anschließend in Italien betreut (Shinozaki 2008). Mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds werden in Polen arbeitslose Frauen in Fremdsprachen und Pflege unterrichtet, um im Ausland, insbesondere in Italien, zu arbeiten (Kontos, Shinozaki, Morokvasic, Catarino und Satola 2009). Manche asiatische Länder betreiben jedoch eine restriktive Frauenemigrationspolitik. Indien erlaubt nur Frauen über 30 die Auswanderung in die Care-Arbeit. Damit sollen die Frauen bereits eine Familie im Herkunftsland gegründet haben, was sicherstellen soll, dass sie ihre Verdienste regelmäßig überweisen und die Rückkehr anstreben (Shinozaki 2008, OSCE 2009). Manche asiatischen Länder haben auch Infrastrukturen  für den Schutz ihrer Migrantinnen und Migranten im Ausland entwickelt. Die Philippinen haben seit mehreren Dekaden für die geordnete temporäre Auswanderung ihrer Bürgerinnen und Bürger gesorgt. In bilateralen und regionalen Handelsabkommen werden Bedingungen für die Sicherung der Rechte der philippinischen Migrantinnen und Migranten im Ausland festgelegt. Die Overseas Workers Welfare Administration verwaltet Sozialleistungen für die Auswanderer_innen und Rückkehrer_innen. Ein an Migrantinnen und Migranten ausgestellter Ausweis kann auch als Visa Card benutzt werden und die Kosten von Überweisungen senken (O’Neil 2004). Arbeitsattachés in den diplomatischen Vertretungen der Philippinen sind mit der Unterstützung der Anliegen der Migrantinnen beauftragt. Sri Lanka hat ein Büro für die Beschäftigung seiner Bürgerinnen und Bürger im Ausland gegründet, das die Migrantinnen unterstützt (Schwenken 2009). Trotz der Bemühungen der philippinischen Regierungen, die Auswanderung in einem formalen Rahmen zu halten, konnten sie die irreguläre Auswanderung nicht verhindern, die nun einen hohen Prozentsatz der Auswanderung insgesamt ausmacht. Die meisten der irregulären Migrantinnen sind im Care-Bereich beschäftigt (O’Neil 2004).

6. Die Perspektiven transnationaler Sorgeketten im Rahmen der europäischen Politik

Die Sorgesysteme der europäischen Länder werden durch die informelle Arbeit der irregulären Migrantinnen aufrechterhalten, da diese sich für die häusliche Care-Arbeit bereitstellen, die – begründet im familiär-mütterlichen Charakter der auszuführenden Aufgaben – extreme Verfügbarkeit erfordert. Ihre Bereitschaft dazu basiert gerade darauf, dass sie ihre eigenen Familienpflichten an andere übertragen haben, was zu transnationalen Sorgeketten geführt hat. Die Übertragung ihrer eigenen Care-Pflichten an andere macht sie also erst geeignet für die bezahlte Care-Arbeit. Die Migration der Frauen in Begleitung ihrer Familie, das heißt ihrer Kinder, und damit die Herstellung von Bedingungen, die Ihnen die Wahrnehmung ihrer eigenen Care-Pflichten erlauben, würde diesem Verfügbarkeitsprinzip zuwiderlaufen und die Auflösung transnationaler Sorgeketten zur Folge haben. Die heute verbreitete Form der 24-Stunden-Verfügbarkeit der Migrantin wäre unter Bedingungen von Familienmigration oder Familienzusammenführung nicht aufrechtzuerhalten. Wollen wir über den Zusammenhang von transnationalen Sorgeketten, soziale Exklusion und soziale Rechte sprechen, so müssen wir über das Recht der Migrantinnen auf Care und zwar das Recht, Care zu empfangen und Care für andere und für sich zu geben.

Eine umfangreiche Literatur liegt vor über die spezifische Arbeits- und Lebenssituation der Migrantinnen in der Care-Arbeit. Neben dem privaten Charakter des Arbeitsplatzes werden Irregularität der Migration und Informalität der Arbeit als zentrale Angelpunkte der prekären Lebens- und Arbeitssituation in der Care-Arbeit erkannt. Die Migrationsregime in den europäischen Staaten regeln unzureichend die Einwanderung von Migrantinnen in der Care-Arbeit. Einer von fünf irregulären Arbeitsplätzen in Europa befindet sich in der Haus- und Care-Arbeit (Williams und Renooy 2009).

Die isolierte Arbeit in Haushalten macht es Migrantinnen in der Care-Arbeit schwer, sich in ethnischen und anderen Organisationen zusammenzuschließen. Viele organisieren sich in religiösen Gruppen, selten jedoch als eine Berufsgruppe, da eine Identifikation mit dem Beruf fehlt. Es sind vor allem die Migrantinnen aus den Philippinen, die sich in der transnationalen Organisation RESPECT zusammengeschlossen haben. Dies mag dadurch erklärt werden können, dass diese sich eher mit der bezahlten Care-Arbeit identifizieren können, da diese Tätigkeit, wie oben erwähnt, in der heimatlichen Öffentlichkeit sie zu „Heldinnen“ macht.

Der Ansatz der Arbeit von RESPECT ist, die Viktimisierung der Migrantinnen in der Hausarbeit zu bekämpfen und die Anerkennung der Haus- und Care-Arbeit als eine normale Arbeit zu erreichen (Schwenken 2006, 2007). Denn der private Charakter des Arbeitsplatzes hat das Verständnis der Care-Arbeit als „richtige“ Arbeit erschwert. Care-Arbeit wird in vielen Ländern von der Arbeitsgesetzgebung ignoriert und von den Gewerkschaften – mit Ausnahme der Gewerkschaften in Südeuropa – vernachlässigt (Gallotti 2009).

Betrachten wir nun die Politik der EU auf dem Gebiet der Care, so müssen wir feststellen, dass die Bekämpfung der Care-Krise keine Priorität besitzt (Lisbon Strategy 2000, Europe 2020, 2010). Zudem, Texte zur Verbesserung der Altenpflege in Europa enthalten keine Hinweise auf die Arbeit der Migrantinnen, sondern sie stellen die Pflegearbeit der Familienangehörigen der zu pflegenden Person und der organisierten Pflegedienste in den Mittelpunkt. Was die europäische Zuwanderungspolitik betrifft, wurden Anfang des Jahrzehnts Anstrengungen unternommen, eine gemeinsame Arbeitsmigrationspolitik zu entwickeln; diese konnte aber nur für die Zuwanderung von Hochqualifizierten in verbindliche Richtlinien umgesetzt werden. Jedoch muss festgehalten werden, dass das Europäische Parlament bereits im November 2000 eine Resolution über die Notwendigkeit, die informelle Arbeit irregulärer Migrantinnen in der „Haushaltshilfe“ zu regulieren und ihnen Rechte zu geben, verabschiedete (European Parliament 2000). Diese Resolution blieb jedoch ohne weitere Auswirkungen auf das gesetzgeberische Werk der EU-Kommission.

Es sind eher die transnationalen Arbeitsorganisationen, die die Frage der Arbeitsrechte der Migrantinnen in der häuslichen Pflege zum Thema machen. Die Konföderation Europäischer Gewerkschaften ETUC setzt sich seit einigen Jahren für die Anerkennung der Care-Arbeit der Migrantinnen als reguläre Arbeit ein (ETUC 2005). 2008 hat die Internationale Arbeitsorganisation den Beschluss gefasst, in ihrer 2010 stattfindenden Konferenz das Thema anständige Arbeit (decent work) für Hausarbeiter_innen zu diskutieren mit dem Ziel, Beschlüsse für Arbeitsbedingungen zu fassen. Es wird erwartet, dass das der Gewerkschaftsarbeit auf diesem Gebiet Auftrieb geben wird.

Sowohl im Rahmen der ETUC und ILO, als auch in der Resolution des Europäischen Parlaments vom November 2000 werden vornehmlich die fehlenden Arbeitsrechte der Migrantinnen zum Thema gemacht. Um den Teufelskreis zwischen Sorge, sozialer Ungleichheit und Exklusion zu durchbrechen, müssen aber Sorgebedürfnisse und -rechte der Migrantinnen anerkannt werden. Denn in der Diskussion fehlt die Behandlung der Sorgerechte unter einer Perspektive der Ethik. Der Bericht der ILO, der zur Grundlage für die Diskussion über die Hausarbeit in der Konferenz in 2010 gemacht wird, enthält zwar ein Kapitel über Mutterschutz und Anerkennung der Familienpflichten der Care-Arbeiterin gegenüber ihrer eigenen Familie. Doch hier wird nur die Frage des Mutterschutzes angesprochen, das heißt der während der Zeit eines Arbeitsverhältnisses entstehenden Schwangerschaft und somit das Recht auf Mutterschutz und Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Schutzzeit (ILO 2010). Es wird nicht auf die spezifische Situation der Migrantinnen, die in transnationalen Sorgeketten eingebunden sind, Bezug genommen, und es wird den Care-Pflichten und -bedürfnissen der Migrantinnen gegenüber den Familienmitgliedern, die im Herkunftsland geblieben sind, keine Anerkennung gespendet.

Viele der in die Care-Arbeit migrierenden Frauen möchten Ausbeutung und Unterdrückung oder schlechten Ehen entkommen. Andere möchten nur eine begrenzte Zeit im Ausland arbeiten und dann ins Herkunftsland zurückkommen und wünschen deswegen nicht, ihre Familie und Kinder in die Migration mitzunehmen. Viele sind also nicht an einer Familienmigration interessiert. Die meisten leiden jedoch unter der Trennung von ihren Kindern und darunter, dass sie ihre Kinder nicht selbst versorgen können. Die Debatte um die Rechte der Migrantinnen in der Pflege hat deswegen auch zu berücksichtigen, dass Fürsorgeleistung an die eigenen Kinder oder bedürftige Familienangehörige ebenfalls ein Recht ist, welches Migrantinnen heute nicht besitzen, jedoch für sich beanspruchen möchten. Heute wird gerade das Recht der Migrantinnen, Fürsorge zu geben, verletzt (Perez Orozco 2009a).

Ein Recht auf Sorge bedeutet nicht nur ein Recht auf den Erhalt von Sorge in Lebensphasen von Schwäche und Abhängigkeit. Das Recht auf Sorge bezieht sich auch auf das Recht, wählen zu können, ob man selbst Fürsorge leisten möchte und unter welchen Bedingungen (Perez Orozco 2009b). Das Recht auf Sorge bezieht sich auch auf das Recht auf Selbstfürsorge (Küchenhoff 1999). Diese Rechte sind unter den heutigen Arbeitsbedingungen in der häuslichen Care – zum Beispiel permanente Verfügbarkeit, keine Privatsphäre, keine eigene Sozialität, kein eigenes Familienleben, ungewisse Situation im Alter – nicht gegeben.

Hier wäre also das Recht der Migrantin auf Familienleben und damit auf Familienzusammenführung zu berücksichtigen. Familienzusammenführung und damit Auflösung transnationaler Sorgeketten würde aber auch eine Regularisierung der Care-Arbeit erfordern, was nur durch umfangreiche sozialpolitische Interventionen und radikale Umgestaltung und Umverteilung der Sorgearbeit möglich wäre,  etwa indem die Zahlungsfähigkeit der Haushalte mit öffentlichen Geldern unterstützt, die Care-Arbeit professionalisiert und aufgewertet sowie der Status der Migrantin legalisiert wird. Die Eckpunkte des „Care-Diamanten“ würden unter diesen Bedingungen neu konfiguriert werden müssen. Marktanteile würden zugunsten einer öffentlichen Gestaltung zurückgehen.


Dieser Beitrag basiert auf dem Input zum Fachgespräch „Care Ökonomie als zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell“, veranstaltet vom Gunda-Werner-Institut am 10.2.2010 in Berlin